Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
Vorab-Lektüre des Kapitels Oper sehr von Nutzen sein mag. Vieles, was in Operetten und Musicals geschieht, erklärt sich letztlich aus der Tradition des großen Musiktheaters, der Oper.
Was bei Musical und Operette geboten wird
Ob nun »Zigeunerbaron«, »Land des Lächelns«, »Jesus Christ Superstar« oder »Cats«: In allen Fällen geht es hier um unterhaltsame Theateraufführungen mit Musik, Gesang und oft auch Tanz. Der Zuschauer darf beschwingte, gefühlsbetonte, mitreißende Abende erwarten, auf die sich Einsteiger vielleichter einlassen können als auf die große Oper. Auch die Umgangsformen unter den Zuschauern sind wesentlich ungezwungener; bei manchen Musicalproduktionen geht es inzwischen sogar ebenso laut und hektisch zu wie bei einem Popkonzert. Die Kleidung des Publikums ist meistens schick, aber leger. Deswegen sieht man hier auch häufiger Menschen, die ansonsten vor dem Besuch eines großen Theaterhauses zurückschrecken.
Dabei hängen die drei Theaterformen sehr eng miteinander zusammen. Die Operette hat ihren Namen, weil sie eine kleine Oper sein sollte – Operette ist gleichsam die Verniedlichungsform von Oper. Sie darf dazu kürzer, ein wenig leichter und weniger dramatisch und existenziell daherkommen als ihre große, vornehme Schwester. Sie sollte von Beginn an jene Menschen ansprechen, denen die Oper zu anspruchsvoll war. Deswegen wurden aus den Arien nach und nach eingängige Lieder, schöne Gesangsnummern, die leichter ins Ohr gingen. Um die Handlung besser zu vermitteln, fügten die Komponisten und Autoren Szenen mit langen gesprochenen Dialogen ein – die Darsteller mussten nicht nur singen, sondern auch schauspielern. Und oft sogar tanzen.
Operetten und Musicals machen ebenso viel Spaß wie Wundertüten – weshalb anspruchsvolle Kulturfreunde manchmal etwas hochnäsig auf sie herabsehen. Doch damit tun sie diesen Kulturformen Unrecht. Kaum etwas ist schwieriger und herausfordernder, als ein Publikum auf hohem Niveau gut zu unterhalten. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass auch in diesem Bereich große Komponisten Werke von bleibendem Wert geschaffen haben.
Darf ich bitten? Vom Charme der Operette
Entstanden ist die »kleine Oper« um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Theater immer stärker gezwungen waren, neben der ganz großen Kunst auch Produktionen für ein breites Publikum anzubieten – weil sie dessen Eintrittsgelder zum Überleben brauchten. Solche Stücke mussten einerseits populär sein, andererseits aber auch einen eigenen, unverwechselbaren Stil besitzen, um sich auf dem großen Markt der städtischen Vergnügungen durchsetzen zu können.
Der geniale Schöpfer dieser neuen Form war der aus Köln stammende Jacques Offenbach (1819–1880), der im quirligen Paris des 19. Jahrhunderts lebte: ein begnadeter Musiker und kritischer Zeitgenosse, dessen leichte, spritzige, gefühlvolle Musik die Zuschauer zum Mitsingen animierte, und der in seinen Geschichten gern satirische Anspielungen auf die korrupten Zustände seiner Zeit machte, was seine Produktionen zum Tagesgespräch werden ließ.
Seine wichtigste Operette heißt »Orpheus in der Unterwelt« – und wer das Opernkapitel in diesem Buch gelesen hat, weiß jetzt gleich Bescheid. Denn sinnigerweise haben wir es hier wieder mit jenem großen, mythologischen Stoff zu tun, über den Claudio Monteverdi 1607 das erste große Musiktheater der Menschheit geschaffen hatte, »L’Orfeo« – die Geschichte vom Ursprung der Kunst: Der Sänger Orpheus steigt hinab in die Unterwelt, um durch betörenden Gesang seine verstorbene Gattin Eurydike vom Totenreich zurückzufordern.
Bei Jacques Offenbach ist die Handlung allerdings wesentlich verzwickter: Orpheus ist nämlich eigentlich froh über den Tod seiner Gattin, die ihn entsetzlich genervt hat, und muss erst von der öffentlichen Meinung zum Marsch in die Unterwelt gezwungen werden. Eurydike wiederum hat so gar keineLust, zu den Lebenden zurückzukehren, weil Gott Pluto in seiner Unterwelt für Abwechslung und frivol-prickelnde Stimmung sorgt. Ihre Wiederbelebung geschieht folglich eher pro forma. Beim überraschenden Schluss bricht die ganze Gesellschaft auf der Bühne in einen wilden Cancan aus – jenen für die damalige Zeit gewagten Tanz mit entblößtem Damenbein, dessen Melodie wir selbst heute noch im Ohr haben. Man merkt: Offenbach hat eine wunderbare Parodie auf die große, ernsthafte Oper geschaffen – auf musikalisch höchstem Niveau.
Übrigens
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