Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
Anfangs dachte ich, der sei für die Therapeutinnen, die
würden da drin ihre Sachen aufbewahren, während sie mit den Patienten im Wasser
sind. Aber das stimmt nicht. Die ziehen sich im ganz normalen Umkleideraum um.«
Sie senkte den Blick in ihren Tee. »Ich bin eine von Natur aus neugierige
Person. Also beschloss ich, bei passender Gelegenheit mal nachzusehen, was dort
aufbewahrt wird. Heute war ich allein auf weiter Flur. Vor dem Spind hatte sich
eine Pfütze gebildet. Aha, dachte ich, da läuft Haarshampoo aus. Der Schlüssel
steckte. Ich schloss auf … und … als ich in die Tüte … «
Gitti
begann zu würgen, drängte sich an Helene vorbei und rannte zu den Toiletten.
»Sie
hat reingeguckt und laut aufgeschrien. Ich bin sofort zu ihr gerannt, ich
dachte, sie sei in der Dusche gestürzt«, übernahm die Freundin nun die
Fortsetzung der Geschichte. »Gitti hielt mir ihre Hand hin. Blutverschmiert.
Also nahm ich ihr die Tüte ab, sah, was drin war, schob Gitti unter die Dusche
und drückte den Alarmknopf. Niemand kam. Ich stellte den Beutel in den Spind,
musste nun nicht noch jemand die Tüte finden, schloss die Tür ab und steckte
den Schlüssel ein, danach lief ich zur Rezeption, damit man die Polizei
verständigte.« Helene wirkte sehr gefasst und ruhig.
»Als
Sie den Kopf zurückstellten, konnten Sie da sehen, ob noch mehr Beutel im
Schrank waren?«
»Ehrlich
gesagt nicht. Weil ich nicht darauf geachtet habe. Mir ging es darum, schnell
Hilfe zu organisieren.« Nachtigall glaubte Bedauern in ihrer Stimme wahrnehmen
zu können. Helene stand auf.
»Wenn
Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich jetzt gern nach Gitti sehen.«
»Ihre
Adressen haben wir?«, fragte Wiener nach.
»Ja,
die Kollegen haben alles notiert.«
Sie war
schon fast an der Tür zu den Toiletten, da drehte sie sich noch einmal um.
»Vielleicht
sollte ich erwähnen, dass ich den Toten wahrscheinlich kenne.«
»Was?«
Damit hatte Nachtigall nun wirklich nicht gerechnet.
»Im
ersten Moment habe ich es nicht wirklich gewusst. All das Blut, das Gekreische
von Gitti, der fürchterliche Geruch. Aber als sich die Lage etwas beruhigte,
wurde mir bewusst, dass ich den Kopf wohl kenne. Er gehört zum Exmann einer
Bekannten von mir. Könnte ich wetten. Norbert.«
Damit
schloss sie die Tür hinter sich, um ihrer Freundin beizustehen.
»Michael,
du wartest bitte, bis sie wieder rauskommt und lässt dir den vollständigen
Namen und die Adresse von diesem Mann und der geschiedenen Frau geben. Ich gehe
zu Peddersen und bringe in Erfahrung, was er so für uns hat.«
»Tja – wir
haben eine handelsübliche Einkaufstüte und eine Sporttasche in diesem Schrank
gefunden«, berichtete Peddersen umständlich. Nachtigall registrierte mit
Schaudern die blutigen Spritzer auf dem weißen Tatortanzug und schüttelte sich.
»In der Tüte war der Kopf, in der Tasche Arme und Beine des Opfers.«
Der
Hauptkommissar nickte knapp.
Einer
der Kollegen Peddersens öffnete den Plastikbeutel, damit Nachtigall einen Blick
hineinwerfen konnte. Ich habe ohnehin keine Wahl, dachte der und schaute hin,
ich sehe ihn bei Dr. Pankratz sowieso wieder. Auf den ersten Blick waren keine
Details zu erkennen.
Leise
ächzend registrierte er eine blutige Masse, durchzogen von dunkleren
Strukturen. Haare, überlegte er, das sind bestimmt Haare.
»Der
Torso fehlt?«, fragte er dann heiser.
»Hier
ist er nicht. Wir haben natürlich in allen Spinden nachgesehen. Nix. Vielleicht
gehören Kopf und Extremitäten demnach zu dem Torso aus dem Autowrack. Die
Zeugin hat in die Tüte geguckt, weil sich auf dem Boden diese kleine Lache
gebildet hatte. Da ist ein winziges Loch in der Nähe der Naht, dort ist Plasma
ausgetreten.«
Nachtigall
bemerkte die Spurenkarte zu seinen Füßen. ›1‹ stand darauf.
»Muss
ein ziemlicher Schock gewesen sein. Die dachte an Duschgel oder so und findet
einen abgetrennten Kopf.« Der Tatortspezialist wiegte bekümmert den gesamten
Oberkörper hin und her.
»Kannst
du mir sagen, wie er … ?«
»Scharfe
Kante. Gesägt, gehackt? Das weiß der Rechtsmediziner besser.«
»Wir lassen
überprüfen, ob die DNA zu den Blutspuren aus der Wohnung passt.«
»Wenigstens
wäre damit klar, wie der Körper von dort verschwand. Am Stück wäre es ihm wohl
kaum möglich gewesen, den Abtransport unauffällig zu gestalten.« Peddersen
kommentierte all das emotionslos. »Unter den Augen der Polizei!«
»Sieht
aus, als hätten wir es mit einem eiskalten Killer zu
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