Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
Scheiße zu ziehen. Er
ist weiß Gott aus dem Alter raus, in dem er nach seiner Verflossenen jammern
kann, wenn mal wieder eine seiner grandiosen Planungen in die Hose geht.«
Ihre
Wangen hatten sich gerötet und die Hände schossen wie gefährliche Pfeile durch
die Luft. Wiener drängte sich der Eindruck auf, Norbert, wenn er doch noch am
Leben wäre, sollte sich lieber anderswo nach Unterstützung umsehen. Was mag er
angestellt haben, um seine Frau so gegen ihn aufzubringen?, fragte er sich
besorgt und dachte an seine Frau Marnie, die schon vor der Ehe klargestellt
hatte, was sie als Scheidungsgrund ansehen würde. Nur damit du Bescheid weißt, hatte
sie erklärt und dabei entschärfend gelacht, aber ihr Michael hatte dennoch
erkannt, wie ernst es ihr war. War Norbert fremdgegangen?
»Seit
wann sind Sie schon geschieden?«, erkundigte sich Nachtigall.
»Lang
genug, um ihm bewusst werden zu lassen, dass ich nicht mehr für ihn in
irgendwelche Breschen springe! Norbert ist nicht mehr ganz dicht. Vor drei
Jahren hat es mir dann endgültig gereicht und ich beschloss, die Notbremse zu
ziehen, bevor ich mit ihm zusammen untergehe. Er zog aus, nahm die Möbel mit
und ich begann mit meinem neuen Leben. Hin und wieder war es notwendig, ihn aus
finanziellen Schwierigkeiten zu retten, aber beim letzten Mal war klar, dass
ich das nicht noch einmal tun würde. Und dieser ewige Verfolgungswahn! Anfangs
stand er plötzlich vor der Tür, wollte bei mir unterkriechen, man sei hinter
ihm her. Ich riet zu einer Therapie, aber glauben Sie nicht, dass er je
ernsthaft versucht hat, sich zu ändern.«
»Er ist
nicht ganz dicht?«
»Sein
letzter Therapeut nannte es manisch-depressiv, sagt Norbert. Ich halte ihn für
total durchgeknallt. Wenn er ruhig ist, schadet er wenigstens niemandem. Doch
plötzlich entwickelt sich ein Plan. Das ist der Anfang vom Ende. Seine Ideen
brauchen Geldgeber. Wortgewaltig preist Norbert sein neues Projekt an. Er
findet für jede Idee genug Idioten, die ihr Geld investieren – und
dann platzt die Seifenblase und alle sind sauer, Norbert steckt bis zum Hals in
Schulden. Die Typen schicken ihm Schläger auf den Hals, er wird halb
totgeprügelt und mit dem Tod bedroht. Schließlich wollen die Geldgeber ihre
Einlagen zurück. Es ist immer dasselbe Drama! Danach kommt dann eine Phase mit
Verfolgungswahn – zum Schluss eine neue Depression.«
»Hatten
Sie in den vergangenen Tagen Kontakt zu Norbert?«
»Nein!
Zum Glück ist im Moment Funkstille. Das kann von mir aus gern so bleiben.«
»Wir
brauchen seine neue Adresse.« Nachtigall arbeitete sich wegen des unbrauchbaren
Armes ungeschickt aus dem Polster der Couch hervor.
»Ich
schreibe sie Ihnen auf.« Frau Holzmann trat an einen Sekretär, zog zielsicher
die Schublade auf, stutzte, begann in den anderen Fächern zu wühlen. Dann
seufzte sie, nahm einen Notizzettel und schimpfte: »Ich muss mein Adressbuch
irgendwie verkramt haben! So was! Hoffentlich finde ich es schnell wieder, kann
ja nur in der Wohnung sein. Alle Adressen weiß ich nämlich nicht auswendig.
Norberts schon, denke ich. Wahrscheinlich kriege ich sie zusammen, wenn ich
genau überlege … «
Endlich
notierte sie zwei Zeilen auf dem kleinen Blatt.
»Ich
glaube, so stimmt sie. Bei der Hausnummer bin ich mir nicht ganz sicher.« Als
sie die Besucher zur Tür begleitete, murmelte sie: »Hoffentlich habe ich es
nicht aus Versehen weggeworfen, stehen ja auch die Geburtstage drin, das wäre
eine Katastrophe.«
Norbert wohnte in einem der
blassgrünen Häuser im Löbensweg an der Verbindungsstraße zum Stadtring, in
unmittelbarer Nähe zum Nordfriedhof.
»Ich
wusste gar nicht, dass hier auch ein sowjetisches Ehrenmal steht«, staunte
Wiener.
»In
einem dieser dreigeschossigen Häuser da?«, fragte Nachtigall, ohne auf Wieners
Bemerkung einzugehen. Er nahm sich aber vor, gelegentlich mit ihm eine Tour zu
den Ehrenmälern in der Umgebung zu unternehmen. Wenn der lästige Articast
entfernt war.
»Genau.
Farblich sind die nicht gerade umwerfend geworden«, maulte Wiener, die
blassgraubeige Fassade entlangfuhr, die eingangs der Straße lag. »Wenn schon,
denn schon. Weißt du, wie bei den Würfelhäusern in Richtung Autobahn. Cottbus
West. Die sehen toll aus, richtige Hingucker sind das geworden. Knallrot mit
sonnengelben Balkonen. Das leuchtet förmlich.«
»Die
habe ich auch neulich entdeckt. Gefällt mir. Weg von den gedeckten Tönen!«
»Schade,
dass die Exfrau keinen Schlüssel
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