Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
es nun weitergehen mit der Kohle? Vielleicht sind
wir schon bald alle ohne Arbeitsplatz. Holzmann nicht. Der hat gesagt, die
Kohle wird gebraucht. Wir haben die modernsten Anlagen, was den Kraftwerkebau
angeht. Unsere Tagebaue und Kraftwerke bleiben erhalten – gerade wegen der
Energiewende!« Lubrich lehnte sich an die Wand und Nachtigall bemerkte, wie
sich dessen schmaler Brustkorb hektisch hob und senkte. Der Mieter legte seine
knochige Hand an den Hals. Lange, gekrümmte Fingernägel unterstrichen den
insgesamt ungepflegten Eindruck. Finger und Lippen waren blau.
»Herr
Lubrich, Sie sollten besser in Ihre Wohnung zurückgehen«, riet der
Hauptkommissar dem Fremden.
»Ich
schone mich zu Tode«, grinste der gequält.
»Wie
sieht Norbert Holzmann eigentlich aus?«, erkundigte sich Wiener.
Lubrichs
Augen wurden groß und rund. »Warum? Wollen Sie den Mieter oder den Einbrecher
fangen?«, krähte er dann heiser.
»Vielleicht
ist Herrn Holzmann ja etwas zugestoßen«, nährte der Hauptkommissar eine neue
Vermutung.
»Wenn
ich es mir genau überlege … Könnte schon sein. Ich habe ihn ja schon seit ein paar Tagen
nicht mehr gesehen. Urlaub kann nicht sein, dann gibt er immer mir den
Schlüssel, damit ich die Post rausnehmen kann. Der Einbruch heute Vormittag war
schon Aufregung genug und nun muss ich mir auch noch Sorgen um ihn machen.«
»Also?«
»Was?«
»Wie
sieht er aus?«, wiederholte Wiener ungeduldig seine Frage.
»Nicht
sehr groß, nicht sehr schlank. Ganz normal, würde ich denken. Wie Sie oder
ich.«
Michael
Wiener hoffte, der Mieter würde seinen skeptischen Blick nicht bemerken. Ging
er doch davon aus, dass er sich durchaus deutlich von seinem Gegenüber
unterschied.
»Augenfarbe?
Haarfarbe? So etwas interessiert uns«, konkretisierte er.
»Haarfarbe
kommt ja heute allenthalben aus der Tube. Aber ich würde schon meinen, der
Holzmann ist dunkelblond. Heute schon grau durchsetzt. Und die Augen? Grün?
Nee, grün nicht. Wenn ich mir das genauer überlege, sind die wohl auch grau.
Natürlich nicht so dunkel wie die Haare, aber grau.«
»Hat er
dichtes Haar?« So schnell gab Wiener nicht auf.
»Früher
bestimmt. Aber jetzt nicht mehr. Ich will nicht sagen, er habe eine Glatze – aber
man kann schon den Kopf zwischen dem Bewuchs gut erkennen«, grinste Lubrich.
»Also
doch Glatze?« Der junge Kommissar unterdrückte ein Stöhnen.
»Nee.
Nicht Glatze. Wirklich nicht. Höchstens so ein bisschen. Verstehen Sie? Nicht
kahl.«
»Und
ein Tattoo? An einer gut sichtbaren Stelle?«
Der
Mieter grinste anzüglich. »Ach, Sie denken nicht an ein Arschgeweih oder eine
wunderschöne Peniswurzelverzierung? Aber stimmt schon, der Norbert hatte sich
eins über der rechten Augenbraue stechen lassen. Ganz frisch sah das schon
nicht mehr aus. Eine Welle mit Linien und Punkten. Wie aus dem Film, ach, wie
hieß der denn noch gleich? Na, fällt mir gleich ein. Ja! Moby Dick!« Lubrich
rang röchelnd nach Luft und umklammerte hysterisch das Geländer. »Ismael, der
Einzige, der um die Katastrophe schon wusste, bevor sie passierte. Einer der
Seeleute von Käpt’n Ahab, der, der sich den Sarg hat zimmern lassen.«
Wiener
nickte. »Klar. Darunter kann ich mir was vorstellen.«
»Danke
schön. Sie haben uns sehr geholfen. Mein Kollege begleitet Sie zu Ihrer Wohnung
hinunter, damit Sie sich ein bisschen erholen können. Und keine Sorge, wenn Sie
Schritte und Geräusche hören. Das sind wir und unsere Kollegen.« Nachtigall
schüttelte Lubrich freundlich die Hand.
»Immer
gern. Was ist denn mit dem Arm Ihres Kollegen passiert?«, hörte er den Mieter
fragen, als der mit Wiener schon die Hälfte des Rückwegs geschafft hatte.
Nur Momente später war der
junge Mann wieder zurück.
»Ich
versteh gar nit, wo der Kollege mit dem Schlüssel bleibt. Solle mir scho mal
Peddersen benachrichtige? Klingt doch so, als würde wir ihn brauche.«
»Ein
Kumpelgeheimnis? Wissen die Freunde irgendetwas, das für sie tödlich ist?«,
murmelte Nachtigall, als habe er die Frage gar nicht gehört. »Wir haben nur
lose Enden. Vielleicht finden wir bei Holzmann einen Hinweis auf eine
Verabredung. Oder eine Notiz zu einem Telefonat mit jemandem, der ihn in die
Wohnung der Ahrendts bestellt hat.«
»Wenn
deine Vermutung stimmt, wurde er hier jedenfalls nicht getötet«, stellte Wiener
fest.
»Vorstellbar
wäre doch auch, dass der Mörder ihn vorab besucht hat, um das Treffen zu
arrangieren und Holzmann in die fremde Wohnung zu
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