Kunden lesen
erwähnt wurde, reißt sich ein bunt gemischtes Publikum um die zwanzig verschiedenen Brotsorten, die alle vor Ort gebacken werden. Die Webdesigner und Grafiker der diversen Medienagenturen im Umkreis mischen sich unter die Familien und die alteingesessenen Kunden aus dem Viertel wie auch Annemarie Wohlfahrt, die schon ihr ganzes Leben lang hier eingekauft hat – ein Milchbrötchen ohne Rosinen, so wie jeden Tag. Annemarie ist sehr glücklich, dass die Bäckerei inzwischen auch sonntags geöffnet hat, sodass sie ihr Brötchen wirklich an sieben Tagen die Woche bekommt. Und da die Bäckerei Amselmann sehr auf Tradition bedacht ist, wurde auch das Rezept in den letzten 35 Jahren nicht verändert. Es schmeckt immer gleich, und dafür ist Annemarie sehr dankbar.
Ganz anders geht es dem jungen Mann Thorben Wuschl, der gerade mit seinem knallroten Kapuzenpulli, mit grüner Hose und gelben Schuhen sein himmelblaues Fahrrad vor der Tür parkt. Seit er bei der Agentur schräg gegenüber jobbt, findet auch er hin und wieder mal den Weg in diese Bäckerei.
Isabella Graupner, die Verkäuferin an der Theke, fragt den schräg gekleideten Kreativen auch gleich: »Was darf es denn für Sie sein?«
»Mmmhhh, ein Brot für die WG, ich bin diese Woche dran. So ein mittelgroßes vielleicht. Was hätten Sie denn da?« Frau Graupner legt voller Stolz los und präsentiert dabei einen prachtvollen dunkelbraun-knusprigen Laib: »Unser Klassiker ist der Berner Bauernlaib mit der kernigen Kruste.«
Bereits die Erwähnung lässt das Gesicht von Thorben aufleuchten. Er zieht die Arme aus dem Pulli und zeigt anerkennend auf das Brot: »Das hatten wir schon einmal, wirklich sehr lecker. Ham’se nich noch was anderes?«
»Ja, hier, dieses Kümmel-Vollkorn-Brot, aber das ist natürlich eher herzhaft«, schlägt Frau Graupner daraufhin vor und erntet wieder begeisterte Zustimmung, denn Thorben liebt auch Pikantes. »Ach nee, Kümmel hatten wir gerade letzte Woche, das geht nicht.«
Jetzt läuft Annemarie Graupner zur Höchstform auf und präsentiert nacheinander ein Tiroler Landbrot, Das Uckermärker Original, einen Tessiner Stollen und ein Sonnenblumenbrot mit Bierkruste. Sie weiß um jedes Geheimnis der geschmackvollen Zubereitung der vielen traditionell zubereiteten Backwerke und preist ein duftendes Brot nach dem anderen an, stets mit ausgesprochen positiver Rückmeldung des Kunden – er findet sie alle gut und hat alle auch schon einmal probiert. Nur kaufen scheint der junge Mann nicht zu wollen. Schließlich sagt er: »Sie haben echt leckere Brote. Echte Klassiker. Aber ham´se nich vielleicht ein neues Brot, das es so noch nie gab? Ick hätte gerne mal wieder einen völlig anderen Geschmack.«
Da muss Annemarie Graupner leider passen: »Nein, das tut mir leid. Wissen Sie, wir legen sehr viel Wert auf Tradition, und alle Brotsorten, die wir heute im Angebot haben, gibt es so schon seit mindestens 25 Jahren. Einige sogar schon viel länger.« Thorben Wuschel bedankt sich höflich und verlässt unverrichteter Dinge die Bäckerei. »Es war nichts Neues dabei? Dass manche Menschen immer alles anders haben müssen. Dabei hat doch eine gute Tradition etwas so Beruhigendes und Beständiges«, wundert sich Annemarie Graupner.
Ausgeprägt oder flach?
Es gibt Verkaufsprozesse, die laufen so routiniert und zuverlässig ab wie ein Schweizer Uhrwerk. Da gibt es keine lange Aufwärmphase, es werden nicht viele Worte gemacht oder gar aufwendige Auswahlprozesse gestartet – diese Begegnungen beschränken sich auf ein »Guten Tag« und auf »Schönen Tag noch, bis zum nächsten Mal!« Manche Stammkunden wissen eben, was sie wollen, und die guten Verkäufer wissen es auch. Das hört sich traumhaft an und ist es auch fast. Denn wenn der Kunde immer dasselbe kauft, gibt es kaum Entwicklungs- oder Bewegungsspielraum, in dem sich neue Produkte oder ein Umsatzplus unterbringen lassen. Oder vielleicht doch?
Für einen anderen Menschentyp ist gleichbleibend ein Synonym für Monotonie und Langeweile. Sie vermeiden nach Möglichkeit jede Wiederholung. Sie lieben die Veränderung im Äußeren und die Abwechslung, brauchen immer was Neues, neue Dinge, Ideen, Menschen, Reisen, Eindrücke – und zum Glück auch immer neue Produkte. Diese Menschen sind nicht so sehr auf langfristige Ziele ausgerichtet. Sie probieren gerne neue Möglichkeiten aus und sind auf jeden Fall diejenigen, die in der Bettenabteilung des Möbelhauses auf jeder Matratze Probe liegen,
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