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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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gut tausend
Kilometer sein können. Er streckte sich mit dem Gesicht nach oben flach auf dem
blutfarbenen Teppich aus und dachte an weiß Gott was.

54
    —
    Als das Spiel vorbei war, stieß Henry zu seinen
Mannschaftskameraden, die an der Home Plate den Sieg feierten. Zugleich behielt
er mit einem Auge die Tribüne hinter der First Base im Blick, wo Aparicio Sals
kleinem Bruder ein Autogramm gab. Aparicio – er, der vielleicht schon bald der
Präsident von Venezuela sein würde – trug Mantel und Schlips, war den ganzen
Weg von St. Louis hierhergekommen und hatte einen Mantel angezogen und
sich einen Schlips umgebunden, um Zeuge zu werden, wie Henry sich ein für alle
Mal blamierte. Er sah genauso aus, wie Henry ihn sich vorgestellt hatte, so
schlank und fit wie zu seiner aktiven Zeit, der Hals lang und majestätisch, die
Haut mandelbraun, die Schultern nicht breiter als Henrys. Unweit von ihm stand
Dwight Rogner und sprach in sein Handy, und auch ohne Lippen lesen zu können,
wusste Henry, was er sagte: »Vergiss diesen Skrimshander.«
    Henry nahm seine Tasche und schob sich in die Menge, um ostentativ
die Hand von President Affenlight zu schütteln, der allein herumstand und ihm
einen bedauernden Blick schenkte, einen Blick, wie Henry ihm von nun an bis zu
seinem Lebensende zu entgehen suchen würde. Als Affenlight den Blick abwendete,
huschte Henry um den Ballfang herum und durchquerte unbemerkt das Niemandsland
zwischen Westish Field und dem Football-Stadion. Dort, im Schatten eines
Stützpfeilers, umgeben vom kühlen, süßlichen Duft von Moos und Fäule, setzte er
sich hin und weinte.
    Danach fühlte er sich
deutlich schlechter. Was auf dem Spielfeld beißende, adrenalingesättigte
Beklemmung gewesen war, durch die Dringlichkeit seines Wunsches – Ich muss hier weg, weg von allen anderen – nur noch
verstärkt, wich einer flachen, düsteren Ödnis des Grauens. Ein Augenblick würde
kommen, dann noch einer und dann wieder einer. Diese Augenblicke würden sein
Leben sein.
    Er öffnete den
Lattenverschlag, in dem er die Weste mit den Gewichten aufbewahrte, die er für
die Stadiontreppen trug, zog sie über sein Cardinals-Shirt und schloss die
Schnalle über dem Brustbein. Das Spiel hatte kurz vor der Abenddämmerung
geendet, jetzt war es dunkel. Er zog die Gurte enger, bis ihm die Weste in die
Brust schnitt.
    Er ließ das Stadion
hinter sich und lief ostwärts über das Trainingsgelände in Richtung See. Der
Wind blies direkt vom Wasser her, scharf und kühl. Nach dürren Büschen
greifend, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, kraxelte er den kleinen, mit
Geröll überzogenen Abhang zum Strand hinunter und lief am Ufer entlang in
Richtung Norden. Wo der Strand endete, begann ein Pfad durch strohiges, vom
Regen plattgedrücktes Gras, das vor Insekten summte. Nach drei Kilometern
mündete der Pfad in eine Art Wiese, die im Sommer von der Gemeinde gemäht wurde
und in deren Mitte sich ein Leuchtturm erhob. Für gewöhnlich umrundete Henry
bei seinen westenbeschwerten Läufen den Leuchtturm, klatschte einmal mit der
Hand auf die getriebenen Buchstaben der Tafel, die von der Historischen
Gesellschaft am Gipsputz befestigt worden war, und machte sich auf den Rückweg.
Weiter nördlich kam nur noch ein hoher Stacheldrahtzaun, der sich vom Ufer bis
zum Highway und dann immer weiter in Richtung Westen erstreckte. Auf der
anderen Seite des Zauns begann ein Waldstück, das sich in Privatbesitz befand.
Dahinter lag die nächste Ortschaft in nördlicher Richtung. Henry kannte ihren
Namen nicht; er war nie dort gewesen.
    Der Leuchtturm, ein
hoher weißer konischer Zylinder, war nicht mehr in Gebrauch, wurde aber
gewissenhaft instand gehalten. In allen Geschäften und Restaurants in Westish
hingen Gemälde und Fotografien von ihm. Die Tür mit ihren breiten Planken lag
etwas nach hinten versetzt in einer Nische. Er zog an den pfeilförmigen
eisernen Griffen, doch es war abgesperrt. Er legte seine Tasche in der Nische
ab und watete hinaus in das kalte Wasser.
    Just als die sanften
Wellen gegen sein Kinn schwappten, erreichte er eine Sandbank, die ihn wieder
bis zur Hüfte aus dem Wasser hob. Der Wind nagte sich durch sein nasses T-Shirt
und die Weste. Seine Zähne klapperten. Obwohl es eisig war, fühlte sich das
Wasser angenehmer an als der Wind. Er tauchte den Kopf unter. Die Cards-Kappe blieb
auf der Wasseroberfläche zurück, wie zum Zeichen der Weigerung, sich an dem
Blödsinn zu beteiligen, den er offenbar

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