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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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vorhatte; die Wellen trugen sie außer
Reichweite, hinein in die Dunkelheit. Er streckte sich und begann zu schwimmen.
    Das erste Dutzend
Schwimmzüge fiel ihm schwer, erschien nahezu unmöglich, weil die Weste ihn nach
unten zog. Doch als er eine gewisse Geschwindigkeit erreicht hatte,
beeinträchtigte sie ihn kaum noch. Er schwamm an der ersten Boje vorbei, an der
zweiten. Hinter ihm wurden die Lichter des Campus immer schwächer. Er schwamm
weiter.
    Als er dem Gefühl nach
die Hälfte des Sees durchquert hatte, drosselte er das Tempo, bis er nur noch
dahintrieb, das Kinn auf dem dunklen Wasser mit nichts als Dunkelheit darüber.
Alles, was er sah, waren Sterne. Es gab keine Möwen, keinerlei Geräusche hier
draußen. Es war vorstellbar, dass nie zuvor jemand bis zu diesem Punkt
geschwommen war, so weit vom Ufer entfernt. Es konnte auch sein, dass die
Menschen es vor Hunderten oder Tausenden von Jahren ständig getan hatten.
Vielleicht war das ihr Sport gewesen. Es war, als ächzte das Wasser unter dem
eigenen Gewicht, unter dem Gewicht von noch mehr Wasser.
    Er drehte sich dem
Campus zu, den vereinzelten winzigen Lichtern, die das Dunkel punktierten. Er entspannte
seine Blase, urinierte ins Wasser. Es beruhigte seinen Körper, wenn auch nur
einen Augenblick lang.
    Sein einziger Wunsch
war immer gewesen, dass sich niemals irgendetwas änderte. Oder dass sich die
Dinge nur zum Guten änderten, dass alles Tag für Tag immer ein bisschen besser
wurde, bis in alle Ewigkeit. Es klang verrückt, wenn man es so sagte, aber das
war es, was Baseball ihm versprochen hatte, was das Westish College ihm
versprochen hatte, was Schwartzy ihm versprochen hatte. Es war der Traum, jeden
Tag dasselbe zu tun. Jeder Tag war wie der vorangegangene, nur etwas besser.
Man schaffte die Stadiontreppen etwas schneller. Man stemmte etwas mehr an
Gewicht. Man schlug den Ball im Schlagkäfig etwas fester, sah sich anschließend
mit Schwartzy die Aufzeichnung an und gewann neue Einsichten in seine
Schlagtechnik. Die Technik wurde etwas weniger kompliziert. Alles wurde, Stück
für Stück, etwas weniger kompliziert. Man aß dasselbe Essen, wachte zur selben
Zeit auf, trug dieselbe Kleidung. Störungen, schlechte Gewohnheiten, unnütze
Gedanken – alles Überflüssige fiel nach und nach von einem ab. Übrig blieb, was
einfach und nützlich war. Man verbesserte sich immer ein bisschen weiter, bis
zu dem Tag, an dem schließlich alles perfekt war, und so blieb es dann. Für
immer.
    Er wusste, dass es
verrückt klang, wenn man es so sagte. Perfekt sein zu wollen. Zu wollen, dass
alles perfekt war. Aber in diesem Moment kam es ihm vor, als wäre das der
einzige Wunsch, den er seit seiner Geburt gehabt hatte. Vielleicht war es nicht
einmal Baseball, was er liebte, sondern nur diese Vorstellung von Perfektion,
von einem ganz und gar einfachen Leben, in dem jede Bewegung zählte, und
Baseball war nur das Medium, durch das er sein Ziel erreichen konnte. Hätte
erreichen können. Natürlich klang es verrückt. Aber was bedeutete es, wenn die
tiefste Hoffnung, die man hegte, die Prämisse, auf der das eigene Leben fußte,
verrückt klang, sobald man sie in Worte fasste? Es bedeutete, dass man verrückt
war.
    Als die Saison vorbei
war, verschlangen seine Mannschaftskameraden, selbst Schwartzy, alles, was
gerade greifbar war – Zigaretten, Bier, Kaffee, Schlaf, Pornos, Videospiele,
Mädchen, Nachtisch, Bücher. Es spielte keine Rolle, was sie verschlangen,
solange sie nur etwas verschlangen. All das Verschlingen trug nicht zu ihrem
Wohlbefinden bei, man sah sie benommen und übernächtigt umherirren, aber
endlich hatten sie die Freiheit, zu verschlingen, was sie wollten, und nur das
zählte.
    Henry war zu klug, um
sich diese Freiheit zu wünschen. Das einzig lebenswerte Leben war das unfreie
Leben, das Leben, das Schwartzy ihn gelehrt hatte, das Leben, in dem er an
seinen einen und einzigen wahren Wunsch gekettet war, den Wunsch, einfach und
perfekt zu sein. Dann waren die Tage himmelblaue Flächen, die man mit
Leichtigkeit durchquerte. Man brachte Opfer, und die Opfer hatten ihren Sinn.
Man aß, bis man satt war, und dann trank man SuperBoost, weil jedes Gramm
Muskelmasse zählte. Man schürte den Ofen, gab der Maschine Brennstoff. Wie hart
man auch arbeitete, man fühlte sich niemals gestresst oder gehetzt, denn man
tat das, was man wollte, und so gebar ein Augenblick den nächsten. Er hatte nie
verstanden, wie seine Mannschaftskameraden zu spät zum

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