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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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erkannten, darüber hinwegsehen oder ihm
vergeben. Doch die Menschen vergaben einem nicht für das, was sich richtig
anfühlte – das war das Letzte, was sie einem verziehen.
    »Wie lange läuft das
schon?«
    »Noch nicht lange.«
    »Noch nicht lange mit
Owen oder« – sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte – »oder generell?«
    Affenlight hob den
Blick. »Es gibt kein generell «, sagte er. »Nur Owen.«
    Er war noch nicht alt,
aber jetzt sah er so aus. Die Arme hingen schlaff an ihm herab, unter dem
zerzausten, silbergrauen Haar hatten sich tiefe Sorgenfalten in die Stirn
gegraben, die Augen blickten traurig und flehend. Warum war der jüngere Mensch
stets der Hauptgewinn und der ältere stets derjenige, der ihn zu gewinnen
suchte? Von der Pubertät an hatte Pella erlebt, was es hieß, der jüngere Mensch
zu sein, der, an den sich die anderen klammerten, den sie liebten. Das war die
hoffnungsvolle Idiotie der Menschen: dass sie immer das Unfertige liebten. Es
ergab überhaupt keinen Sinn. Was hofften denn die Alten, was die Jungen werden
würden? Etwas anderes als alt? Das war noch nicht vorgekommen. Aber sie
versuchten es immer weiter.
    Mit die
Alten meinte sie alle, die jemand Jüngeren liebten – ihr Dad, aber auch
David und selbst die Typen zwischen zwanzig und dreißig, mit denen sie während
ihrer Highschool-Zeit etwas gehabt hatte. Alle streckten immerzu die Hände in
die Vergangenheit aus, über ihre eigenen Fehler hinweg. Man konnte natürlich
sagen, dass die jungen Menschen ihrer geschmeidigen Körper und großen
Fruchtbarkeit wegen begehrt waren, aber das ging am Eigentlichen vorbei. Das
Ganze hatte eine noch viel traurigere Seite. Eine, die mit beständigem Bedauern
zu tun hatte, dem Gefühl, dass das eigene Leben ein einziger Irrtum war, ein
Fehler, den man verzweifelt wiedergutmachen wollte. »Er ist noch ein halbes
Kind«, sagte sie. »Er ist jünger als ich.«
    Affenlight nickte. »Ich
weiß.«
    »Was ist, wenn es
jemand herausfindet? Was passiert dann mit uns?« Das uns war eine Spur melodramatisch.
    »Ich weiß es nicht«,
sagte Affenlight.
    »Aber du liebst ihn.«
    »Ja.«
    »Na, dann ist doch
alles prima«, sagte Pella. »Amor vincit omnia.« Was sie dachte, war noch
grausamer: Er wird dir das Herz brechen.
    Sie nahm ihr Gepäck und
ging auf ihren Vater zu. Einen winzigen und überglücklichen Sekundenbruchteil
lang dachte Affenlight, sie wolle ihn umarmen, aber ihre Hände umfassten fest
die Träger ihrer Taschen, und in Wahrheit blockierte er einfach nur den Weg zur
Tür. Er trat zur Seite und machte einigen Zentimetern aufgewühlter Luft
zwischen ihnen Platz, während seine Tochter ihren schönen portweinfarbenen Kopf
senkte, an ihm vorbei und den Flur hinunterglitt und verschwand.

58
    —
    Wenn man sich einmal vorstellte, Coach Cox nicht zu
kennen, und dann sein leeres Büro betrat, sich auf den Besucherstuhl setzte und
im Raum umsah, so wäre man niemals darauf gekommen, dass er die
Baseballmannschaft von Westish seit dreizehn Jahren trainierte. Ebenso gut
hätte er gestern eingezogen sein können. Die Tür war niemals abgeschlossen. Die
Wände waren in einem beliebig wirkenden Weißton gehalten, der metallene
Lehrerschreibtisch in einem stumpfen Militärgrün. Die hauptsächlichen Anzeichen
von Leben waren ein an die Wand geklebter Trainingskalender und ein Papierkorb,
der vor verbeulten Cola-light-Dosen überquoll. Ein halbhoher Kühlschrank, auf
dem Servietten von Imbissläden und Senfpäckchen verstreut lagen,
vervollständigte die Einrichtung. Das schmale Fenster bot keinen Blick auf den
See.
    Auf der gläsernen Arbeitsfläche des Schreibtischs befanden sich
lediglich ein Telefon und ein kleines gerahmtes Foto von Coach Cox’ zwei Kindern.
Sie saßen in einem Planschbecken, das mit Laub gefüllt war, das Mädchen hatte
den Arm in der beschützenden Art älterer Geschwister um den Jungen gelegt, und
sie grimassierten für die Kamera. Henry nahm es in die Hand, um es genauer zu
betrachten. Beide Kinder trugen Übergangsjacken in Erdtönen und hatten
halblanges strubbeliges Haar. Der Junge sah aus wie vier, das Mädchen mochte
etwa sieben sein, aber das Foto hatte dort gestanden, solange Henry
zurückdenken konnte, die Farben waren verblichen, und die beiden waren jetzt
zweifellos viel älter – vielleicht älter als er. Es war seltsam, wie selten
Coach Cox über seine Familie sprach; seltsam, wie wenig man über die Menschen
erfuhr, die einen umgaben. Henry meinte, der Name

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