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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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paar Artikel für den New Yorker geschrieben,
nachdem mein Buch erschienen war. In der Redaktion arbeitete einer, den alle
nur den Grauen Geist nannten. In den Sechzigern hatte er ein paar großartige
Reportagen geschrieben – ich erinnere mich besonders an eine über Veteranen des
Koreakriegs –, und seitdem war er jede Woche im Büro erschienen, montags bis
freitags, sogar im Sommer, ohne einen einzigen verdammten Tag zu versäumen –
und ohne auch nur einen einzigen Entwurf für einen Artikel einzureichen. Hinter
der Tür hörte man seine Schreibmaschine pausenlos hämmern, und natürlich
kursierten Gerüchte darüber, woran er arbeitete, dem Epos, das alles bisher
Dagewesene in den Schatten stellen würde, aber nie bekam jemand auch nur ein
Wort davon zu sehen. Ich musste manchmal in die Redaktion, um mich durch den
Schlussredaktionswolf drehen zu lassen, und da streifte er durch die Gänge, mit
diesem mitgenommenen, abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht. Er war am Ende, und
er wusste es. Daran hat mich Henrys Gesicht erinnert, als er vom Platz ging. An
den Grauen Geist.« Es gab zwei Arten von dilettantischen Betrügern: die, die zu
viel redeten, und die, die zu wenig redeten. Affenlight, der eindeutig zur
ersten Gruppe gehörte, hielt inne und schüttelte den Kopf. »Armer Junge. Ich
wünschte, man könnte irgendetwas für ihn –«
    »Schon passiert«, sagte
Pella säuerlich. »Hör mal, Dad, wir müssen reden. Ich kann nicht hier wohnen
bleiben. Ich zieh aus.«
    »Was?« Affenlight
machte ein verdutztes Gesicht. »Jetzt? Ist es wegen David?«
    »Nein.« Die Riemen von
Tasche und Rucksack schnitten ihr in die Schultern. Sie machte ein paar
Schritte in den Raum hinein und ließ beide auf das kleine Sofa gleiten, ein
vorläufiges Einknicken. »Ich muss bloß aus dieser Wohnung raus. Sie ist nicht
groß genug für uns beide. Sie ist nicht mal groß genug für dich allein. Überall
Bücherstapel, die Schränke bis obenhin voll mit irgendwelchem Krimskrams. Du
bist sechzig Jahre alt. Willst du wirklich für den Rest deines Lebens in einer
Studentenbude hausen?«
    Affenlight blickte
stumm zur Zimmerdecke, über der die Wohnung lag. »Mir gefällt es hier.«
    Pellas Flip-Flop
klopfte auf den Boden; sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie das Thema so
wenig direkt angegangen war. Als sie die Wohnverhältnisse ihres Vaters
kritisiert hatte, wollte sie eigentlich darauf hinaus, dass er wie ein in
Anführungsstrichen »normaler« Mann seines Alters leben sollte – also ohne Owen.
Doch sie machte weiter, unfähig, sich zu mehr Direktheit zu zwingen. »Warum
kaufst du kein Haus?«
    Affenlight lächelte
betrübt. »Wo warst du vor acht Jahren? Die Schule hätte uns das Haus des
scheidenden Rektors zu einem Spottpreis verkauft. Aber ich dachte, mir wäre es
einfach zu einsam, ganz allein in so einem großen alten Haus herumzugeistern.
Also wurde es regulär angeboten, und ein Physiklehrer, der in den Neunzigern
ein Vermögen mit Technologieaktien gemacht hatte, hat es sich unter den Nagel
gerissen. Wie ich es hätte eigentlich tun sollen.«
    »Du bist auch so
zurechtgekommen.«
    »Ja, ich bin
zurechtgekommen«, stimmte Affenlight zu.
    »Wie auch immer«, sagte
Pella. »Ich bin kein Kind mehr, und wir sind auch nicht verheiratet. Ich
glaube, es wäre einfach entspannter, wenn wir beide unsere eigene Wohnung
hätten. Okay?«
    Affenlight nickte
bedächtig. »Okay.«
    »Guck nicht so
mürrisch«, sagte sie. »Dann kann auch mal jemand bei dir übernachten.«
    Affenlight schmunzelte,
oder er versuchte es. »Na klar«, sagte er. »Und wer zum Beispiel?« Der
klassische Fehler jedes Kriminellen, dieses und wer zum
Beispiel , das der Sehnsucht, erwischt zu werden und für die Tat Bewunderung
zu ernten, Ausdruck verlieh. Pella wappnete sich. »Owen zum Beispiel.«
    Eine abgrundtiefe,
interstellare Stille erfüllte das Büro. Schließlich sagte Affenlight: »Ich
hatte vor, es dir zu sagen.«
    »Wann denn, auf dem
Totenbett?«
    »Vielleicht«, sagte er.
»Oder ein bisschen später.«
    Pella fühlte dasselbe
Verlangen zurückkehren, das sie am Rand des Spielfelds überkommen hatte – den
Drang, ihren Vater vor nahendem Unheil zu bewahren. Er war so naiv, so
jungenhaft. Sie sah noch sein Gesicht vor sich, als er am Zaun mit Owen
gesprochen hatte: als würden die tausend anderen Menschen im Stadion nicht
existieren. Als würden sie, so sie existierten, nicht erkennen, was er für Owen
empfand. Als würden sie, so sie es

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