Kunst des Feldspiels
sanftäugige Jim
Toover war eben erst von einer mormonischen Missionsreise zurückgekehrt, die
ihn nach Argentinien geführt hatte. Er war einsneunundneunzig und hatte einen
langen, kraftvollen Schwung. Er wurde Vierzehndreißig genannt, weil das die
Uhrzeit war, zu der die Harpooners vor Heimspielen immer Schlagtraining
machten. Henry stand knapp zehn Meter hinter dem Zaun, und die Bälle prasselten
herab, als fielen sie aus den Wolken. Zuschauer eilten zum Parkplatz, um ihre
Autos umzuparken. Die Mannschaften auf den umliegenden Feldern unterbrachen das
Training, um zuzuschauen.
»Aber wir würden ihn
nicht Vierzehndreißig nennen, wenn er das während der Spiele machen würde.«
»Was macht er denn
während der Spiele?«
»Da hat er
Muffensausen.«
An diesem Nachmittag
spielten die Harpooners gegen die Lions von der Vermont State University. WILLKOMMEN IN DER HÖLLE DER LÖWEN stand auf dem Transparent einer weitgereisten Mutter. Henry saß neben
Owen und Rick O’Shea auf der Spielerbank. Starblind war als Center Fielder und
Stammschlagmann bereits gesetzt.
Owen holte ein
batteriebetriebenes Leselämpchen aus der Tasche, klipste es an den Schirm
seiner Kappe und schlug ein Buch mit dem Titel Omar Khayyāms Robā’īyāt auf.
Hätten Henry und Rick
während eines Spiels auch nur ans Lesen gedacht, wären sie zu Konditionstraining
oder zum Helmschrubben verdonnert worden, aber Coach Cox hatte es bereits
aufgegeben, Owen für seine Sünden zu bestrafen. In Sachen Disziplin war Owen
ein absolutes Rätsel, denn es schien ihm völlig gleichgültig zu sein, ob er
spielte oder nicht. Und wurde er angebrüllt, hörte er zu und nickte
interessiert, so als sammle er Material für eine Hausarbeit zum Thema
Hirnschlag. Bei Sprints trabte er, bei Dauerläufen ging er spazieren, und im
Outfield machte er Nickerchen. Innerhalb kürzester Zeit hatte der Coach das
Brüllen eingestellt. Tatsächlich wurde Owen sogar sein Lieblingsspieler, der
Einzige, um den er sich keine Sorgen machen musste. Wenn im Training nichts
zusammenging, wie meistens, zischte er Owen aus dem Mundwinkel ätzende Bemerkungen
zu. Owen wollte gar nichts von Coach Cox – nicht Stammspieler werden oder eine
bessere Position innerhalb der Schlagfolge herausholen, noch nicht einmal einen
Rat – und deshalb konnte dieser es sich leisten, ihn als ebenbürtig zu
behandeln, vielleicht in etwa so, wie ein Priester sein einziges ungläubiges
Gemeindemitglied zu würdigen weiß, denjenigen, dem die Rettung seiner Seele
egal ist, der aber wegen der schönen bunten Fenster und dem Singen immer
wiederkommt. »Man steht so viel herum«, antwortete Owen, als Henry ihn fragte,
was ihm an dem Spiel gefalle. »Das und die Taschen an der Spielerkleidung.«
Im sechsten Inning
gegen Vermont State konnte Henry seine innere Unruhe kaum noch verbergen.
»Dürfte ich höflich bitten, das zu unterlassen«, sagte Owen zu Henry, dessen
Knie zappelten und zuckten. »Ich versuche zu lesen.«
»Entschuldige.« Henry
hörte auf, aber kaum konzentrierte er sich wieder auf das Spiel, begannen seine
Knie von neuem damit. Er schaufelte sich eine Handvoll Sonnenblumenkerne in den
Mund und spuckte die geknackten Hülsen präzise in eine kleine Gatorade-Lache
auf dem Boden. Er drehte seinen Mützenschirm nach hinten. Er drehte einen
Baseball in der rechten Hand und schnippte ihn hinüber in die linke. »Macht
dich das nicht kirre?«
»Doch«, sagte Rick.
»Hör auf damit.«
»Nein, nicht ich. Auf
der Bank zu sitzen.«
Rick prüfte die Bank
mit den Handflächen, als wäre es eine Matratze in einem Möbelhaus. »Die ist
doch in Ordnung.«
»Wärst du nicht viel
lieber auf dem Spielfeld?«
Rick zuckte mit den
Schultern. »Vierzehndreißig ist erst im dritten Jahr, und Coach Cox liebt ihn.
Wenn er nur die Hälfte von dem zeigt, was er tatsächlich draufhat, sitze ich
die nächsten zwei Jahre hier.« Er sah Henry an. »Du wiederum hast Tennant ganz
schön gegen dich aufgebracht.«
»Hab ich nicht«, sagte
Henry.
»Und ob. Du hast nicht
gehört, wie er Meccini letzte Nacht vollgetextet hat, während ich auf meiner
Pritsche gelegen und so getan habe, als würde ich schlafen.«
»Was hat er denn
gesagt?«
Rick sah sich zu beiden
Seiten um, um sicherzugehen, dass niemand lauschte, und setzte dann zu seiner
Tennant-Imitation an. »Der ver piep te Schwartz. Kommt
nicht klar damit, dass ich Kapitän dieser ver piep ten
Mannschaft bin. Was also macht er? Gräbt dieses kleine Stück Piep aus,
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