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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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Die übrigen sechstausend
Menschen rutschten einige Zentimeter auf ihren Sitzen nach vorn, womit sie eine
kollektive unterschwellige Energieverschiebung erzeugten, die im gesamten
Stadion zu spüren war. Alle Harpooners außer Henry und Owen lehnten über dem Geländer
des Unterstands und riefen milde Obszönitäten, um die Pitcher abzulenken,
während sie im Geiste beteten und ihre Finger und Zehen zu jenen Formationen
verdrehten, von denen sie sich am meisten Glück versprachen. Es gab eine Menge
abergläubisches Herumgezappel und -gerutsche – niemand wollte sich zu viel
bewegen, was an sich schon Unglück brachte, aber niemand wollte andererseits in
einer Unglück verheißenden Pose verharren.
    Auch Henry, der zwei
Schritte hinter seinen zappeligen Teammitgliedern saß, wenige Zentimeter von
Owens Ellbogen entfernt, versuchte eine hilfreiche Position zu finden. Tief im
Innern, dachte er, glauben wir alle, Gott zu sein. Wir glauben insgeheim, dass
der Ausgang des Spiels von uns abhängt, selbst wenn wir nur Zuschauer sind – von
der Art, wie wir ein- und ausatmen, von den T-Shirts, die wir tragen, oder
davon, ob wir die Augen schließen, wenn der Ball die Hand des Pitchers verlässt
und auf Schwartz zufliegt.
    Schwung, daneben,
erster Strike.
    Tief im Innern glaubt
jeder von uns, dass die ganze Welt dem eigenen kostbaren Körper entspringt, so
als würden Bilder von einem winzigen Dia auf eine erdballgroße Leinwand
geworfen. Und noch tiefer im Innern weiß jeder von uns, dass er sich irrt.
    Schwung, daneben,
zweiter Strike.
    »Kappenwechsel!«, rief
Rick O’Shea, der sich in der kreisförmigen Zone neben dem Unterstand für seinen
unmittelbar bevorstehenden Einsatz als Batter bereithielt. Alle – bis auf Owen,
der weiter die Nase in sein Buch steckte – drehten ihre Kappen auf links,
sodass das skelettartige weiße Innengewebe sichtbar wurde. Henry tat es ihnen
gleich.
    Doch es sollte nicht
sein. Zum dritten Mal zog Schwartz mit voller Kraft durch, starrte wütend auf
die unberührte obere Hälfte seines Schlägers und stakste dann mit hängendem
Kopf zurück zur Spielerbank. Die Amherst-Fans grölten. Zwei Outs.
    Rick O’Shea ging mit
ausladenden Schritten zur Plate, um Schwartz’ Schuld zu tilgen, und nahm, den
Schläger in der linken Hand, seine Grundhaltung ein. Komm
schon, dachte Henry. Das eine Mal. Izzy, der
sich schon ein kleines Stück von der First Base in Richtung Second
davongestohlen hatte, setzte sich in Bewegung. Die Flugbahn des Fastballs
beschrieb eine Kurve nach unten und drehte gleichzeitig ein, genau wie Rick es
gern hatte. Das eine Mal. Rick ließ die Hände sinken
und vollführte mit seiner Hüfte eine mächtige Rotationsbewegung, der in
Nadelstreifen gekleidete Bauch folgte nach. Der Pitch erreichte ihn in
Knöcheltiefe, aber Rick fing ihn mit seinem schleifenförmigen Schwung genau mit
der dicksten Stelle des Schlägers ab. Der klare, laute Glockenschlag
durchschnitt das Tosen der Menge. Der Ball beschrieb einen Parabelbogen durch
die dunkle carolinasche Luft, stieg hoch und höher, bis weit über die
Lichtmasten hinauf, so hoch, dass er nur kerzengerade herunterfallen konnte und
entweder hinter der Absperrung landen oder gefangen werden würde. Der Right
Fielder lief rückwärts und weiter rückwärts, bis sein Rücken gegen die Mauer
stieß. Er beugte mit der angespannten Aufmerksamkeit einer Katze leicht die
Knie und sprang hoch, sein Arm ragte wie ein Haken über die Mauer, als er dem
herabstürzenden Ball den Handschuh entgegenstreckte …
    »Jawoll!« Owen, dem
nicht einmal anzumerken gewesen war, dass er zuschaute, warf sein Buch zur
Seite und sprang die Treppe des Unterstands hinauf. »Ja, ja, ja, ja, ja!« Der
Ball landete im Aufwärmbereich von Amherst, einen Meter hinter der Mauer. Owen,
der als Erster an der Home Plate ankam, trommelte mit beiden Händen wild auf
Ricks Helm herum und hüpfte ihm von hinten auf die Schultern, während die ganze
Mannschaft, Henry eingeschlossen, um sie herumtanzte. »Jawoll!«
    Amherst führte nur noch
mit einem Punkt Abstand. Als Boddington mit einem schneidenden Ball ins rechte
Außenfeld ausglich, holte der Amherst-Coach schließlich einen neuen Werfer aus
dem Aufwärmbereich. Der Rechtshänder, der zum Hügel lief, ähnelte eher einem
Buchhalter als einem Star-Pitcher – er hatte Henrys Größe, dazu fahles Haar,
ein fliehendes Kinn und schmale Hängeschultern. »Er heißt Dougal«, sagte Asch zu
Henry. »West Texas hat neulich

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