Kunst des Feldspiels
Hocke.
Zu flacher Ball.
Starblind nahm eine Auszeit und winkte ihn herüber. Henry sprintete zum
Schlaghügel.
»Sind wir hier in der
Disko?«, fragte Starblind. »Ich versuche zu werfen.«
»Sorry, sorry, sorry«,
sagte Henry. »Sorry.«
Starblind sah ihn an
und spuckte ins Gras. »Hyperventilierst du?«
»Eigentlich nicht«,
sagte Henry. »Ein bisschen vielleicht.«
Aber als der zweite
Schlagmann einen Ball entlang der linken Außenlinie ins Niemandsland lupfte,
drehte Henry dem Infield den Rücken zu und startete durch. Er konnte den Ball
zwar nicht sehen, erriet aber anhand der Art, wie er vom Schläger abgeprallt
war, wo er landen würde. Für niemanden sonst war die Stelle erreichbar, es lag
also ganz bei ihm. Er streckte den Handschuh aus, während er bäuchlings über
das Gras rutschte, und hob just in dem Moment den Blick, als der Ball
hineinplumpste. Selbst die gegnerischen Fans johlten.
Die Shortstop-Position
mit Henry zu besetzen, das war, als holte man ein Gemälde hervor, das in der
Abstellkammer verstaubte, und hängte es am absolut perfekten Ort auf. Man
vergaß sofort, wie der Raum vorher ausgesehen hatte. Bereits im vierten Inning
dirigierte er die anderen Feldspieler, winkte sie nach links oder rechts und
korrigierte ihre taktischen Fehler. Der Shortstop ist ein
Ruhepol im Zentrum der Verteidigung. Er strahlt diese Ruhe aus, und seine
Mitspieler reagieren darauf. Den Harpooners unterlief nur ein einziger
Fehler, mit Abstand der beste Wert seit Beginn der Reise. Das Gros ihrer kleinen
zermürbenden Fehlleistungen verschwand. Zwar verloren sie mit einem Punkt, aber
Coach Cox hatte nach dem Spiel ein Grinsen im Gesicht.
Am nächsten Tag, ihrem
letzten in Florida, war Henry wieder von Beginn an als Shortstop gesetzt, und
Tennant wechselte an die Third Base. Statt verbittert oder sauer zu sein,
wirkte er eher erleichtert. Als Henry danebenschlug, wie er es viel zu häufig
tat – seine Künste als Batter waren nicht ansatzweise so gut wie seine
Verteidigung –, klopfte Tennant ihm auf den Helm und ermutigte ihn
dranzubleiben. Sie gewannen die Partie, und obwohl die Florida-Reise bei einer
Ausbeute von 2:9 nicht gerade
toll gelaufen war, machte sich dennoch ein ungewohnter Optimismus breit.
Nach Ablauf seines
ersten Studienjahrs blieb Henry in Westish, um weiter mit Schwartz zu
trainieren. Sie trafen sich jeden Morgen um halb sechs. Als Henry alle Treppen
des Football-Stadions hinauf- und hinunterlaufen konnte, ohne anzuhalten,
kaufte Schwartz ihm eine Trainingsweste mit Gewichten. Als er fünf Meilen
hintereinander in je sieben Minuten laufen konnte, ließ Schwartz ihn das
Gleiche auf Sand absolvieren. Als er es auf Sand konnte, ließ Schwartz ihn in
knietiefem Seewasser laufen. Medizinbälle, Trainingsschlitten, Yoga, Fahrräder,
Springseile, Äste, Stahlmülleimer, plyometrische Übungen – kein Hilfsmittel und
keine Idee war zu banal oder zu ausgefallen. Um halb acht, die Sonne stand noch
niedrig über dem See, duschte Henry und machte sich auf zum Speisesaal, um das
Frühstücksgeschirr der Summerschool-Studenten zu spülen. Nach der Schicht lief
er zum Westish Field, wo Schwartz bereits Ballmaschine und Videokamera
aufgebaut hatte. Henry schlug Ball um Ball, bis er kaum noch die Arme
hochbekam. Dann gingen sie ins VAC , um Gewichte zu heben. Und abends spielten
sie in einer Sommermannschaft in Appleton.
Henry war noch nie so
glücklich gewesen. Das erste Jahr war eine Sache gewesen, ein Abenteuer, ein
Hochgefühl, alles in allem ein Erfolg, aber zugleich auch unheimlich
anstrengend, ein beständiges Kämpfen, Sich-Anpassen, voller Unruhe. Aber jetzt
war er eingerastet. Jeder Tag dieses Sommers hatte dieselbe Struktur, der
Wecker klingelte immer zur selben Zeit, Mahlzeiten, Trainingseinheiten,
Arbeitsschichten und SuperBoost hatten ihre festen Zeiten, immer und immer
wieder, und es war diese Gleichförmigkeit, diese Wiederholung, die dem Leben
Sinn verlieh. Er genoss die winzigen Variationen, die schrittweisen
Verbesserungen – Thunfisch statt Hühnchen auf dem Salat, zwei zusätzliche
Durchgänge beim Bankdrücken. Jede seiner Bewegungen hatte ihren Zweck. Während
sie trainierten, rezitierte Schwartz Verse seiner Lieblingsphilosophen, Marc
Aurel und Epiktet – sie waren Schwartz’ persönliche Aparicios –, und Henry
glaubte zu verstehen. Zu leben heißt zu kämpfen. Ja,
das stimmte. Der Schlüssel liegt darin, dich nur mit
denjenigen abzugeben, die dich voranbringen, die in dir
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