Kunst des Feldspiels
Affenlight
strich sich übers Kinn und ließ die frohe Botschaft wirken. »Das sollte kein
Problem sein«, sagte er und versuchte seinen Tonfall so neutral wie möglich zu
halten; wenn er zu viel Enthusiasmus zeigte, konnte das nach hinten losgehen.
»Die Bewerbungsfristen für den Herbst sind natürlich abgelaufen, aber du kannst
dich fürs Sommersemester als Gasthörerin einschreiben, und wenn wir dich für
die nächste Zugangsprüfung anmelden, kann ich das Zulassungsbüro sicher davon
überzeugen –«
»Nein, nein«, sagte
Pella ruhig. »Jetzt sofort.«
»Bitte?«
»Ich … ich hatte
gehofft, ich könnte sofort anfangen.«
»Aber Pella, Sommer ist sofort. Es ist schon April.«
Sie kicherte nervös.
»Ich hatte an morgen gedacht.«
»Morgen?« Jeder Nerv in
Affenlights Rückgrat erschauderte, zum einen aus Liebe zu seiner Tochter, zum
anderen aus Entrüstung über ihre Unverschämtheit. »Aber Pella, das halbe
Semester ist vorbei. Du kannst nicht erwarten, einfach so mittendrin einzusteigen.«
»Ich könnte aufholen.«
Affenlight stellte
seinen Drink ab, trommelte mit den Fingern auf die Sessellehne. »Daran habe ich
keinen Zweifel. Du bist überaus begabt, wenn du dich dafür entscheidest, es zu
sein. Aber es geht nicht einfach nur ums Aufholen. Es ist eine Frage der
Höflichkeit. Als Professor wäre ich ganz sicher nicht begeistert, plötzlich zu
hören …«
»Bitte«, sagte Pella.
»Ich könnte ja erst mal nur Gasthörerin sein. Ich weiß, es ist nicht ideal.«
Jene zwei Jahre,
nachdem Pellas Mutter gestorben war: Man könnte sie die Anpassungsphase nennen.
Er hatte es mit Tagesbetreuung versucht – mit kostspieliger Tagesbetreuung –,
aber sobald Affenlight sich an die Tatsache gewöhnt hatte, dass Pella
tatsächlich seine Tochter war, waren ihm die Söhne
und Töchter seiner Kollegen als ein fader, allzu elitärer Umgang für sie
erschienen. Besser war es, sie unter das gemeine Volk zu mischen, damit sie
dort das Niveau hob – aber halt, das war ja noch schlimmer. Er hatte mit ihr in
ein anderes Land gehen wollen, nach Italien oder Uganda, einfach irgendwohin , wo sie vernünftig aufwachsen konnte.
Landstriche in Idaho oder Australien kaufen, mit Hügeln, Bächen, Bäumen,
Felsen, Vögeln und Wildtieren, wo Pella herumstreifen und auf Entdeckungstour
gehen konnte, während er hinter ihr her trottete und ihr beim Wachsen zusah.
Vorstellungen, die sich mit dem Wunsch abwechselten, sie bei einem Kinderheim
abzuladen und dafür sein Leben zurückzubekommen.
Aber etwas veränderte
sich, für sie und für ihn, als Pella lesen lernte. Wenn er sich morgens nach
einer Nachtschicht aus dem Bett quälte, war sie schon wach, saß angezogen in
der Frühstücksnische ihres Reihenhauses in der Shepard Street und las in
irgendeinem Roman – Judy Blume, Trixie Belden, ihre gekürzte Fassung von Moby-Dick – oder einem mit Bildern überladenen Wissensbuch,
das sie sich aus den Regalen der Widener-Bibliothek gezogen hatte. Beim Lesen
hatte sie einen Buntstift in der Hand und schrieb sich die besten Sätze heraus
oder zeichnete Vertreter ihrer liebsten Spezies auf Millimeterpapier. Ein paar
letzte Cheerios, die in einer Schale neben ihr schwammen, beeindruckten
Affenlight als Symbole absoluter Unabhängigkeit.
Wenn ein höfliches
väterliches Räuspern sie unterbrach, blickte Pella von ihrem Buch auf und
strich sich eine kupferfarbene Strähne aus dem Gesicht, wobei ihre Miene in
verblüffender Weise der ähnelte, die er bei einem seiner Doktorväter beobachtet
hatte, wenn er unangekündigt in dessen Bürotür stand, und die Affenlight bei
sich immer studius interruptus nannte. Noch immer
gerädert und von der Geschäftigkeit seiner Tochter irgendwie eingeschüchtert,
wuschelte er ihr durchs Haar, setzte Kaffee auf und ging wieder ins Bett.
Sollten die Schulautoritäten tatsächlich derart hinter ihr her sein, überlegte
er, würden sie sich schon melden.
Die folgenden sechs Jahre waren glückliche für père et fille Affenlight. The
Sperm-Squeezers erlebte mehrere Auflagen. Pella wurde zur notorischen
Schwänzerin der öffentlichen Schulen Cambridges und eine Art Berühmtheit in
Harvard. Sie spazierte mit ihrem Rucksack durch den Yard und verteilte
Zeichnungen und Gedichte an die Studenten, die zum Plaudern stehen blieben. Die
Erstsemester jedes neuen Jahrgangs, beinahe krankhaft erpicht darauf, sich
untereinander in allem und jedem zu messen, kämpften erbittert um Pellas
Zuneigung, und sie mittags bei
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