Kunst des Feldspiels
auf ihr Kaugummi. Dann ging sie zur
Gepäckausgabe, nicht weil sie irgendwelches Gepäck dabeihatte – außer der
gescheiterten Ehe, ka- tsching! –, sondern weil ihr
Vater und sie sich dort immer getroffen hatten, wenn sie von der Tellman Rose
anreiste. Sie streckte sich über drei Plastikstühle hinweg aus und sah zu, wie
der Schlund des Gepäckbands eine Reihe gedrungener schwarzer Rolltaschen
ausspuckte. Ihr Vater hatte gesagt, er würde sich verspäten – wie absolut öde
typisch für ihn –, hatte aber nicht gesagt, um wie viel. Die schwarzen Taschen
verschwanden, wurden durch neue eines anderen Fluges ersetzt, dann durch wieder
neue. Gab es eine Flughafen-Bar in der Nähe? Möglicherweise, aber sie war zu
müde, um nachzusehen. Es machte sie traurig, dass ihr Vater dem Neuanfang so
wenig Bedeutung beizumessen schien. Die Taschen auf dem Band verschwammen, und
sie schloss die Augen.
»Verzeihen Sie«, sagte
jemand, jemand Männliches. Der Typ lächelte aalglatt. »Hier sollten Sie
vielleicht besser nicht einschlafen. Jemand könnte Ihnen die Tasche klauen.«
»Ich habe nicht
geschlafen«, sagte Pella, obwohl sie das ganz offenkundig getan hatte.
Der Typ lächelte
weiter. Alle hatten jetzt so weiße Zähne, selbst in Milwaukee. Er deutete auf
das Gepäckband. »Kann ich Ihnen mit Ihren Taschen helfen?«
Pella schüttelte den
Kopf. »Ich reise gern mit leichtem Gepäck.«
Der Typ nickte eifrig,
als sei das das Allertollste, was er je gehört hatte. Er streckte die Hand aus
und stellte sich vor. Pella sagte ihm ihren Namen.
»Mannomann, was für ein
hübscher Name. Ist der britisch?«
»Kommt ganz drauf an,
moin Hübscha«, sagte sie in schlechtestem Cockney. »Hättste das gerne?«
Er runzelte die Stirn,
erholte sich aber wieder. »Also. Wo geht’s hin?«
»Nach Hause.« Was
hatten diese Anzugtypen bloß? Sie taten so, als gehörten ihnen die Welt. Pella
entdeckte ihren Vater, der mit großen Schritten und baumelnder Krawatte durch
die langgestreckte Halle kam. »Und da ist ja auch mein Verlobter«, sagte sie.
Der Typ sah zu dem
Herrn in seinen späten mittleren Jahren, der sich näherte, und dann wieder zu
Pella. Er runzelte erneut die Stirn. Irgendwann würde er davon Falten kriegen.
»Aber Sie tragen keinen Ring«, bemerkte er.
»Da haben Sie mich
erwischt.« Ihr Vater sah angeschlagen aus, verwirrt, verloren – er war im
Begriff, einfach vorbeizulaufen, aber Pella beugte sich vor und erwischte ihn
am Ärmel. »Hey«, sagte sie. Ihr Herz schlug wie wild.
»Pella.« Sie standen
einander gegenüber, einen letzten knappen Meter faserigen blauen Teppichs
zwischen sich. Vier Jahre. Pella fummelte am Reißverschluss ihres Sweatshirts.
Die Unterarme ihres Vaters hoben sich seitlich zu einer entschuldigenden,
beinah hilflosen Willkommensgeste, die Handflächen nach oben gekehrt.
»Entschuldige die Verspätung.«
»Macht nichts.«
Es hatte ganz
offensichtlich evolutionäre Gründe, die Mitglieder der eigenen Familie für
attraktiv zu halten – damit stieg die Wahrscheinlichkeit, dass man sich
gegenseitig vor äußeren Bedrohungen schützte –, aber für Pella war es schlicht
undenkbar, dass irgendjemand ihren Vater nicht
attraktiv finden konnte. Er war Anfang sechzig, ein Alter, das üblicherweise
mit Verfall assoziiert war –, aber abgesehen von der müden Verwirrtheit seines
Blicks entsprach sein Aussehen exakt ihrer Erinnerung, das dicke graue Haar
silbern durchsetzt, die Haut von einem rötlichen Mahagoniton, der Gerüchten
über indianische Urahnen Glaubwürdigkeit verlieh, die Schultern rechteckig und
gerade wie eine geometrische Zeichnung.
»Die verlorene
Tochter«, sagte sie, als sie sich kurz und steif umarmten.
»So ist es.«
Pella schnüffelte an
seinem Nacken, als sie sich trennten. »Hast du geraucht?«
»Nein, nein. Ich? Na
ja, vielleicht eine im Auto. War ein langer Tag … Müssen wir noch auf dein
Gepäck warten?«
Pella blickte mit
gekräuselter Stirn auf ihre Strandtasche. »Das ist alles, was ich dabeihabe.«
»Oh.« Affenlight hatte
gehofft, sie würde etwas länger bleiben, schließlich war es ein One-Way-Ticket
gewesen. Aber fehlendes Gepäck verhieß nichts Gutes. Er wagte nicht zu fragen,
es war besser, den Moment einfach zu genießen. Wenn sie nicht über die Abreise
sprachen, kam ihr vielleicht gar nicht der Gedanke abzureisen. »Na gut. Sollen
wir los?«
Die Interstate 43 schnitt, nachdem sie die nördlichen Vororte von Milwaukee hinter sich
gelassen
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