Kunst des Feldspiels
sich am Tisch zu haben wurde unter den
Studienanfängern zum Statussymbol. Still saß sie in Affenlights überlaufener
Vorlesung zum Amerika der 1840er Jahre, ebenso wie in seinem
Proseminar zu Melville und Nietzsche, und sie schien zwischen sich selbst und
den fortgeschrittenen Studenten kaum einen Unterschied zu machen, abgesehen
davon, dass die Studenten permanent versuchten, Affenlight zu gefallen, während
ihr das ganz mühelos gelang und sie es sich daher leisten konnte, eigenständig
zu denken.
Als Affenlight die
Stelle in Westish annahm, entschieden Pella und er, dass sie nicht mitkommen
würde. Stattdessen meldete sie sich an der Tellman Rose an, einer unverschämt
teuren Internatsschule in Vermont. Aus akademischer Perspektive war das
durchaus sinnvoll. Pella beendete zu der Zeit gerade die achte Klasse – im
Alter von ungefähr elf Jahren hatte sie begonnen, täglich zur Graham &
Parks zu gehen –, und die Tellman Rose war mit Abstand besser als jede andere
Highschool im nördlichen Wisconsin. Aber unterhalb des Rationalen lag die
offenkundige, unausgesprochene Wahrheit, dass die beiden zu diesem Zeitpunkt in
Boston bereits kaum noch miteinander zurechtkamen, und Affenlight graute davor,
was an einem fremden, weit abgelegenen Ort wie Westish passieren würde. Pella
hatte hauptsächlich ältere Freunde, deren Freiheiten sie auch für sich selbst
in Anspruch nahm. Abends kam sie immer später nach Hause, mitunter so spät,
dass es Affenlight nicht gelang, wach zu bleiben, um sich anhauchen zu lassen.
Während jenes
Achte-Klasse-Frühjahrs erwähnte Pella eines Tages beiläufig, sie denke darüber
nach, sich eine Tätowierung stechen zu lassen.
»Was für eine
Tätowierung?« Fehler: Das war absolut egal.
»Das chinesische
Schriftzeichen für das Nichts. Genau hierhin.« Sie zeigte auf einen ihrer
fohlenhaften Hüftknochen.
»Keine Tätowierung,
bevor du achtzehn bist.«
»Du hast doch auch
eine.«
»Ich bin ja auch schon
eine ganze Weile achtzehn«, konterte Affenlight, »außerdem sind Tattoostudios
in Massachusetts illegal.« Kein besonders tolles Argument, da es sich auf einen
geographischen Zufall stützte – was wäre, wenn sie woanders leben würden? –,
aber zumindest stellte sich so ein logistisches Problem.
Zwei Wochen später stand
Pella vor dem Spülbecken, als er in die Küche kam, trotz des kühlen Märzwetters
trug sie demonstrativ ein Tank Top. »Hi«, sagte sie.
Auf ihren linken
Oberarm war ein schwarzer Pottwal tätowiert, der sich aus dem Wasser schraubte.
Sein langer eckiger Schädel war nach hinten in Richtung Fluke gedreht, so als
sei er gerade dabei, ein hilfloses Walfangboot zu zertrümmern. Die Haut um die
Tätowierung war rosa und fleckig. »Wo hast du das machen lassen?«, fragte er.
»Providence.«
»Wie bist du denn nach
Providence gekommen?« Affenlight war schockiert. Nicht, weil sie sich ihm
widersetzt hatte – als sie das Wort Tätowierung auch
nur ausgesprochen hatte, wusste er, sie würde sich widersetzen –, sondern von
der Tätowierung selbst. Sie war ein exaktes Spiegelbild seiner eigenen. Selbst
die Größe war auf unheimliche Weise identisch. Sie hätten sich
nebeneinanderstellen und die Oberarme gegeneinanderpressen können, und die
Linien hätten perfekt zusammengepasst.
Selbst jetzt war es
schwierig zu bestimmen, was Pella da eigentlich getan hatte. Seine Tätowierung,
zum damaligen Zeitpunkt dreißig Jahre alt, jetzt fast vierzig, war für ihn
stets etwas Geheimes, Heiliges, Emotionales gewesen. Hatte Pella sich ihm nur
auf den ersten Blick widersetzt, sich in Wahrheit aber viel tiefer und
dauerhafter mit ihm verbunden? Sie hatte das Buch ,
wie sie es nannten, immer geliebt, und womöglich liebte sie auch ihren Vater,
irgendwo tief drinnen. Dies war etwas, das die beiden nun verband. Ihre Haare,
Augen, Gesichtsfarben glichen einander überhaupt nicht – Pella ähnelte in fast
schon übertriebener Weise ihrer Mutter –, aber dies war ein Zeichen, ein
Zeichen für etwas, eine Verwandtschaft, die noch tiefer ging als Blut …
Es sei denn – eine
schönere Formulierung hatte er dafür nicht parat –, sie verarschte ihn.
Vielleicht verarschte sie ihn, spielte mit den Dingen, die ihm außerordentlich,
ja absurd wichtig waren. Stellte die Absurdität ebendieser Gefühle bloß, seiner
Gefühle für sie, für das Buch, für alles. Alles, was du je getan hast, ist bedeutungslos, alter Mann. Jeder
hätte das tun können, alles davon. Ich habe es
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