Kunst hassen
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Ausflugsziel für Rentner und Touristen
Das Gesamtsystem »Kunst« heute, ihre Definition, Produktion, die Auswahl, Beschreibung und Vermittlung, ist zu einem schwer zu enträtselnden Komplex geworden. Kunst ist Mythos, der Museumsalltag ist enttäuschend. Das grenzenloseSpielkind, der einstige Rausch und Statthalter aller Utopien ist fashionable geworden, als beliebtes Ausflugsziel für Rentner, Touristen und Schulklassen. Sie nährt sich von einem Mythos des Weltveränderungsanspruchs und ist heute doch nicht viel mehr als ein Teil des Unterhaltungsgewerbes. Ein Event, von der PR weichgespült für den Mainstream. Dieser Mythos schafft eine Kunstwelt, in der Anspruch und Wirklichkeit gegensätzlicher nicht sein könnten. Eine Welt, in der bedeutende Künstler und Meisterwerke überhand genommen haben, in der das Kunstwerk immer noch als Erziehungsinstrument missbraucht wird, in der Kunst gefällig und wieder erkennbar ist, in der Akteure opportunistisch handeln – und in der sich Information über bildende Kunst gerne aus sprachlicher Überhöhung und Floskeln und Phrasen zusammensetzt, die mehr über den Verfasser der Begleittexte aussagen als über das Werk. Das Problem: Was sich hinter einem großen Begriff wie »humanem Anliegen« (Jenny Holzer) verbirgt, kann der Betrachter nur erahnen.
Kunst ist ein Klischee
Berlin, nächster Versuch. Die ganz große Leere empfängt den Besucher in der Berlinischen Galerie, dem Landesmuseum für Moderne und zeitgenössische Kunst, Fotografie und Architektur, einem weißen Klotz in Berlin Kreuzberg. Betritt man die Ausstellungsfläche, kommt das Gefühl auf, dass man auf einer Kunstmesse gelandet ist. Im Untergeschoss der Industriehalle teilen sich die Künstler die Fläche, jeder fein abgetrennt durch Stellwände, die die einzelnen Bereiche wie Messekojen aussehen lassen. Es liegen die üblichen Pressetexte aus, die mit Sätzen beginnen wie: »Susanne Kriemanns jüngste Arbeit ›Ashes and broken brickwork of A logical theory‹ kombiniert in Archiven gefundenes Material mit eigenen Fotografien zu einer Gesamtinstallation, deren Teile nicht nur inhaltlich miteinander verschränkt sind, sondern durch subtile architektonische Eingriffe in den Raum auch mit dem Ausstellungsort selbst in Beziehung treten.« Hier Fotografie, da eine fürchterliche Rauminstallation mit Pappmachéfiguren, die einen Preis gewonnen hat, in der Mitte der Halle präsentiert das Haus eine digitale Ausstellung. Das heißt, dort steht ein Computer, auf dem man sich Information zur Ausstellung ansehen kann. Außerdem eine Zeitungsinstallation, die aussieht wie ein auseinandergeklapptes ZEIT -Dossier. Im Seitenflügel liegen zwei Fotokojen, in denen fein säuberlich in immer gleichen Rahmen, häufig dazu im gleichen Format, Fotografien gehängt sind. Wenn man jetzt noch Tischeund Stühle dazustellt, könnte es ein Café sein. Alles still und keiner lacht.
Der Star des Hauses ist die amerikanische Fotografin Nan Goldin, deren Arbeiten ebenfalls im Untergeschoss zu sehen sind. Nan Goldin ist eine zeitgenössische Künstlerin, die durch die dokumentarischen Bilder ihres Freundesund Partykreises berühmt wurde. Die Ausstellung »Berlin Work« zeigt Motive, die in Nan Goldins Zeit in Berlin entstanden sind. Freunde in Bars, Freunde in Betten. Nahe, nackte Porträts. Es sind rohe Aufnahmen vom Feiern, Lieben, Sterben. Vom übrigen Bereich abgetrennt, hängen die Fotografien wie in einer Gemäldegalerie vor dunkler Wand. Der Raum ist ebenfalls abgedunkelt, die Fotografien beleuchtet wie Tafelbilder. Goldin selbst war für die Konzeption verantwortlich, in Zusammenarbeit mit dem Direktor und Kurator der Ausstellung, Thomas Köhler. Die Zusammenarbeit mit Goldin war keine einfache, so verrät die Assistentin des Direktors, und man war froh, dass man die Ausstellung letztlich zu beidseitiger Zufriedenheit eröffnen konnte. Der Rahmen wirkt betulich im Vergleich zu Goldins Vorstellung der Kunstvermittlung, die sie noch in den 80 er Jahren hatte: Damals hatte sie ihre Fotos als Diashows mit Musik konzipiert. Sie war überzeugt, dass an die Wand gehängte Bilder nicht den gleichen Effekt erzielen können, wie ihre Diashows. Außer Diashows kamen für ihre Fotos nur Bücher in Frage. Diese Überzeugung tauschte sie mehr als fünfundzwanzig Jahre später gegen Konformität ein. Sie beschränkt sich zusammen mit der Berlinischen Galerie auf einen formalen Rahmen: das gerahmte Tafelbild. Goldins Fotografie wird
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