Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Zepter
Vom Netzwerk:
Die Zuspitzung einer Ablehnung, die keine Fragen offenlässt. Es gibt im Hass kein vielleicht. Es ist die Pose des Dagegen. Sie hat keine Angst. Vor Niemand. Und dagegen sein ist gut. Gut für die Kunst. Denn Kunsthass ist keine Kunstkritik. Er ist die Kritik an dem Kunstsystem an sich. Der Kunsthass ist das Gegenteil des Laberns was das Zeug hält, in einem Meer von distanzlosen Kritikern, die oft gleichzeitig Künstler, Kuratoren oder mittlerweile sogar Kunsthändler sind. Alles geht, alles ist Kunst, nichtsist Kunst, die Kunstgeschichte wird ständig umgeschrieben. Und kaum jemand traut sich die Frage zu stellen, was gute Kunst ausmacht. Unerschrocken ist etwas anderes.
    Es gab noch nie so viel Kunst wie heute. Noch nie so viele Ausstellungen, Museen und Menschen, die sich für Kunst interessieren. So komplex das System, so groß die Unsicherheit, so einfach kann eine Antwort auf ein Kunstwerk sein: Was für ein Schwachsinn!
    Der Kunsthass ist der Kunst und seinem Betrachter zugewandt. Er entspringt einer sensuellen Position, die der Betrachter dem Werk entgegenbringt. Er ist frei von Interpretationen. Häufig übertragen auf den Urheber, den Künstler selbst, dessen Namen man liest, um ihn in Gedanken mit ein paar Böswilligkeiten zu belauern. Er stellt sich gegen die Hierarchie der herrschenden Masse. Anders ausgedrückt: Wenn der Shop das Interessanteste an einem Ausstellungshaus ist, muss das nicht an der nicht vorhandenen Intelligenz des Publikums liegen. Vielleicht liegt es ja an der nicht vorhandenen Intelligenz des Kurators. Denn es ist doch so: Wer Kunst versteht, ist intelligent. Im Umkehrschluss: Wer Kunst nicht versteht, setzt sich dem Verdacht aus, doof zu sein.
    Um das Gefühl zumindest in Ausstellungen zu vermindern, funktioniert Kunstvermittlung nach strengen hierarchischen Regeln. Zusammengefasst bedeutet das: Ab jetzt darfst du das über diese Begrifflichkeit verstehen. Statt Kriterien zu schaffen, die eine eigene qualitative Bestimmung zulassen, hält sich der Betrieb an eine klare Hierarchie: Einführung, Katalog, Pressetext. Wer es wirklich verstehen möchte, geht in eine Gruppenführung. Das kann böse enden. Es hat einfach etwas sehr Beschämendes, wenn zwanzig Erwachsene vor einem Bild stehen, das ihnenmit den Worten »Damit es jetzt nicht zu ernst wird, hat der Künstler das Werk ironisch aufgeladen« kommentiert wird. Besucher einer Ausstellung, die sich der Hierarchie unterwerfen, glauben, nicht über genügend Sachverstand und Kompetenz zu verfügen, die sie befähigen würde, die Ausstellung für sich selbst zu entdecken. Das ist schade und nimmt beiden, der Kunst und ihrem Betrachter, ihren Spaß.
    Hierarchie funktioniert natürlich auch weniger subtil. Hinter jeder Museumstür lauert ein: Nicht berühren! Nicht anfassen! Jacke umbinden! Sie könnten eine Waffe mit sich führen! Wenn das so weitergeht, wird es bald wirklich einer tun. Als die Berliner Nationalgalerie im Jahr 2009 Thomas Demand in einer Einzelausstellung zeigte, konkurrierten die fast 40 Fotografien nicht nur mit diversen Filzwänden und Botho Strauß, sondern mindestens mit ebenso vielen Aufsehern. Kunst wird nicht mehr beschützt, sie wird bewacht. Das merkt man besonders dann, wenn man sie nicht so ernst nehmen möchte.
    Es gibt in der Kunst keinen Trash, keine Auflistung »der 10 besten schlechtesten Ausstellungen«, so wie es selbstverständlich eine Liste der » 10 besten schlechten Filme« gibt. Kunst ist todernst. Selbst wenn man lachend vor einem Werk zusammenbricht, hält man sich reflexartig die Hand vor den Mund. Dem Künstler ist es im Zweifel egal. Aber das System hat nichts davon, nicht ernst genommen zu werden. Es verliert mit jedem Lacher an Kapital. Kapital, das sich aus einer ganz eigenen Wertsteigerung der Anerkennung der Kritik, dem zahlenden Museumspublikum und den richtigen Partygästen zusammensetzt. Wenn diese Kette der Wertschätzung bricht, verliert die Kunst letztlich ihren wichtigsten Maßstab, der am Ende der Kette steht: das Geld.Denn das, was bewundert wird, was selbst voller Hass bewundert wird (zum Beispiel Provokationen, die wiederum den Preis steigern), ist wertvoll.
    Der Ursprung dieses Respekts liegt weit weg, irgendwo dort, wo sich van Gogh das Ohr abgeschnitten hat. Es ist der feste Glaube an das Genie und den Wahnsinn. Ein Glaube, mit dem sich letztlich jedes Werk, jeder Preis und jede Ausstellung rechtfertigen lassen. Die Götzenanbetung beginnt in der Hochschule und endet mit

Weitere Kostenlose Bücher