Kunst hassen
Reflexion wird selten vermittelt – die muss sich der Besucher schon bitte selbst erkämpfen. Dann sollte er aber auch mehr wissen: Wenn eine Ausstellung oder ein Werk den Betrachter inspirieren und neue Denkräume vermitteln soll, dann schafft es der Betrachter auch, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die bisher einem Fachpublikum vorenthalten sind.
Und dennoch scheint das Publikum die Mischung aus Unwissenheit und Götzenkonsum anziehend zu finden. Sie stehen an den Wochenenden Schlange, um Picasso, Frida Kahlo oder die Sammlungen großer Museen zu sehen. Sie stehen sogar unter der Woche bei leichtem Nieselregen pünktlich zur Öffnung brav vor der Tür. In Paris, London oder New York hat man schon gar keine Lust mehr, ein Museum zu besuchen, weil die Besucher vor den bekannten Häusern ab den frühen Morgenstunden campieren. Und es geht noch weiter: Die Besucher strömen auf die documenta, auf die Biennalen. Die Ausstellung selbst ist zu einem Event geworden, ihre im Prinzip unzumutbaren Begleiterscheinungen gelten als Qualitätsmerkmal.
Jeder Mehrzweck entwertet die Kunst
Kunst muss frei sein, frei vom Instrument der Erziehung, frei von einem Gesellschaftsauftrag. Kunst muss asozial sein. Jeder Mehrzweck, der der Kunst zugeschrieben wird, entwertet sie. Und eine Bewunderung, die keine ist, produziertFrustration und Enttäuschung. Ein enttäuschter Besucher verschafft sich Luft, indem er sich über Kunstwerke lustig macht. Und alle lachen mit. Das ist Kunst? Das kann ich auch. Gerade ein Publikum, das durch das bürgerliche Ideal der Kunstmuseen darauf trainiert ist, Meisterwerke mit technischen Fertigkeiten gleichzusetzen, wird bei wenigen Pinselstrichen oder einfachen Metallskulpturen schnell skeptisch – was soll daran schon meisterlich sein? Das ist natürlich nicht nur in der Vermittlung der Modernen Kunst der Fall. In der zeitgenössischen Kunst ist die Enttäuschung noch größer und die Karikatur des »ahnungslosen Besuchers« noch überzeichneter. Denn hier fehlen Qualitätskriterien, die allein die Kunstgeschichte einem Werk gibt. Zeitgenössische Kunst schwebt in einem Raum, in dem noch alles möglich ist. Auch die Möglichkeit, ein Meisterwerk zu sein. Oder eben auch nicht. Was bleibt, ist eine Unsicherheit auf Betrachterseite, die durch verschiedenste Ratgeber zum Verstehen von zumeist moderner zeitgenössischer Kunst unterstützt werden: »Gebrauchsanweisung für moderne Kunst«, »Zeitgenössische Kunst verstehen und deuten«, »Und das ist Kunst?«.
Doch wir leben jetzt. Mit all unseren Erfahrungen, unserer Geschichte, unserem Wissen, Referenzen und Bildern. Und all das fließt in die Betrachtung von bildender Kunst mit ein. Bilder werden entwertet und neu bewertet. Ob gar neue Bilder geschaffen oder alte vermittelt werden – die Kunst hat es verdient, in Gelassenheit aufgenommen zu werden. Ohne Inthronisierung, falsche Bewunderung und falschen Respekt. Wenn eine Bloggerin auf ihrem Blog sheswildatheart.blogspot.com heute wie selbstverständlich Velasquez’ »Las Meninas« neben Popikonen und Fotografien aus Modezeitschriften setzt und Gruppenfotos ausJahrbüchern einer amerikanischen Universität wie eine Ausstellung präsentiert (»All Americans«, North Carolina Online Collection), dann kuratiert sie ihren Blog. Sie setzt Bilder aneinander und bewertet diese neu. Von dieser Souveränität sind die deutschen Museen weit entfernt. Sie bleiben der Heiligenverehrung der Kunst treu, ohne diese plausibel nachvollziehbar zu machen.
Das Ergebnis ist ein eingeschüchtertes Publikum, welches sich in jedem Museum und jedem Ausstellungshaus am besten an den Einträgen im Besucherbuch ablesen lässt. Die Meinungen schwanken zwischen »Langweilige Ausstellung« und: »Exzellente Ausstellung«, zwischen »Grottenschlechte Texte« und: »Glückwunsch zur Präsentation«. Des Weiteren wird auf das unfreundliche Personal oder die Diskriminierung des Audioguides gegenüber Türken und Gehörlosen hingewiesen. Auch wenn es nicht die erste Ausstellung gewesen ist, die die Besucher gesehen haben – eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kunst gibt es nicht. Die Besucher haben nicht den Mut, ihre Meinung zu formulieren. Schon gar nicht auf dem Papier. Was nicht bedeutet, dass sie keine Ahnung hätten. Doch diese Tatsache scheint, trotz des tiefen Wunsches des Direktors der Neuen Nationalgalerie nach Vermittlung von Reflexion und Inspiration, in der Vermittlung von Kunst keine Beachtung zu
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