Kunst hassen
so zu einem Werk, das man an die Wand genagelt hat.
Kunst sieht immer aus wie Kunst
Die Folge dieser Konformität: Kunst lässt sich schwer beschreiben, aber leicht erkennen. Kunst sieht immer aus wie Kunst. Und eine Ausstellung immer wie eine Ausstellung. Dazu ein kleines Experiment: Schlägt man ein beliebiges Kunstmagazin in einer Galerie auf und hält das Foto einer Ausstellung hoch, gleichen sich der Raum, in dem man sich befindet, und das Bild bis auf wenige Details. Natürlich unterscheidet sich die Kunst in ihrer Form, doch bleibt sie ihrem übergeordneten Rahmen treu: Malerei, Skulptur, Installation, Happening. Auch der äußere Rahmen bleibt erkennbar: Eine Ausstellungsfläche in einem Museum sieht aus wie eine Ausstellungsfläche in einer Galerie sieht aus wie eine Ausstellungsfläche auf einer Messe sieht aus wie eine Ausstellungsfläche auf einer Biennale. Das ist den meisten Menschen bewusst, denn sie haben sich auf das Spiel eingelassen, dass ein Kunstwerk von äußeren Faktoren abhängt, die sich ständig zu wiederholen scheinen: einem Raum, der sie zum Kunstwerk erhebt (Museum, Galerie etc.), einen Auserwählten, der das Werk zur Kunst ausruft (Direktoren, Galeristen etc.), und einen Künstler, der als Produzent hinter dem Werk erkennbar wird.
Man kann also nicht nur von einer Ikonographie der Kunst, sondern auch von einer Ikonographie des Kunstbetriebs sprechen. Sie definiert sich nicht nur über Raum, Weihe und Produzent. Sie zeigt sich auch in den einzelnen Elementen eines festgefahrenen Bildes: das Bild der Besucherschlange vor der erfolgreichen Ausstellung – Ist es wirklich eine erfolgreiche Ausstellung? – oder die Gleichförmigkeit der Gestaltung eines Museums nach dem Prinzip einer Laura-Ashley-Boutique. Was, wenn ein Museumim Inneren einen Besucher ganz anders empfinge? Wären sie verwirrt? Die Piefigkeit des Museumsshops mit seinen Feuerzeugen und Kugelschreibern im Matisse-Druck, die ewig gleiche Ausstellungskultur, die ewig gleichen Sammlungen, die Erwartbarkeit der Kunstwerke, der ewig gleiche Mythos des Rätsels. Die verschnarchte und überhebliche Sprache. Es lässt sich feststellen: Die Freiheit der Kunst ist ihr höchster Anspruch und ihr größtes Klischee. Auch das Mitmachen ist ein Klischee. Mit einer gewissen Andächtigkeit nehmen die Menschen, so wie wir es erwarten, an einem Museumsbesuch teil. Was wäre kein Klischee? Sich hinzustellen und zu lachen?
Kunst in weißen Zellen
Diesen Spielraum gibt es jedoch nicht. Er ist geächtet. Was macht das Museum mit mir als Mensch? Und wie prägt mich das? Vorbei ist die Zeit, in der man mit dem Künstler Seth Siegelaub sagte: »Art is to change what you expect from it.« Was aber, wenn dieser change nicht eintritt? Immer wieder nicht eintritt? Das Problem: Die Möglichkeit, Kunst durch den äußeren Rahmen in einen Bewertungskontext zu stellen, entkräftet im Zweifel die Kunst selbst. Denn wenn etwas in einem Museum, einer Galerie oder im Rahmen von Biennalen, Messen oder Festivals zu sehen ist, hilft der Ort auch dabei, den eventuellen Mangel an kunstwerkinternen Signalen auszugleichen. Duchamp erkannte vor mehr als hundert Jahren die Wirkung der Institution, indem er mit seinen Ready-Mades Alltagsobjekte in den Kunstkontext stellte und sie damit zu Kunst machte.
Die Symbole des Betriebs haben sich seither nur marginal verändert. Am beliebtesten ist der White Cube – eine»weiße Zelle« –, wie ihn der Kunstkritiker Brian O’Doherty in seinen Essays »Inside the white cube« (Artforum 1976 / 81 ) genannt hat. O’Doherty sprach von »einer Galerie, die nach den Gesetzen errichtet wurde, die so streng sind wie diejenigen, die für eine mittelalterliche Kirche galten. Die äußere Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fußboden bleibt entweder blank poliertes Holz, so dass man jeden Schritt hört, oder aber wird mit Teppichboden belegt, so dass man geräuschlos einhergeht und die Füße sich ausruhen, während die Augen an der Wand heften.« Verkürzt gesagt: Der White Cube ersetzte Ende der 1920 er Jahre den Rahmen des Tafelbildes. Das Gemälde hatte sich von seinen Begrenzungen befreit, Kunst konnte in immer neueren Formen stattfinden.
Das Prinzip hat sich, zumindest in grober Form, bis heute gehalten, der White Cube ist die häufigste und konventionellste Form der Ausstellungsfläche. Die Folge: Die
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