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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Zepter
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zur Auswahl der Werke geführt haben. Wer diese Kriterien bestimmt hat. Und warum sie heute noch gelten.
Nacht über Deutschland
    In einem weiteren Raum wechseln sich unterschiedlichste Künstler in enger Hängung ab. Warum, ist unklar. In einem anderen Raum ist es so dunkel, dass man die einzelnen Werke nicht sehen kann. Der Titel des Raumes soll die Nazizeit umschreiben, er beschreibt aber vor allem das Sehgefühl: »Nacht über Deutschland«. Eine ungefähre inhaltliche Einordnung der Sammlung bekommt der Besucher über die Wandtexte zu den einzelnen Künstlergruppen (»Turm der Blauen Pferde«) oder eben thematische Räume. Die Werke werden nicht weiter beschrieben, insgesamt 26 sind im Audioguide erfasst. Dieser beschränkt sich vor allem auf Bildbeschreibungen mit assoziativen Deutungen: »›Sonja‹ von Christian Schad gehört zu den Lieblingsbildern der Besucher der Neuen Nationalgalerie.« Kein Hinweis, wie die Neue Nationalgalerie zu dieser Erkenntnis kommt. Stattdessen die Antwort des Museums: »Da müssen Sie die fragen, die den Audioguide gemacht haben.« Weiter: »Eine aparte Erscheinung, elegant, ein wenig hochmütig oder zumindest unberührt von möglichen Komplimenten wendet Sonja uns ihren durchdringenden Blick zu. Tief dunkle Augen erwarten vollkommene Konzentration. Oder blicken sie durch uns hindurch?« Und später: »Schad schuf damit ein typisches Porträt im Zeitalter der modernen Sachlichkeit. Ein kühl sondiertes Typusporträt, in dem das Individuelle hindurch scheint.« Was ist ein kühl sondiertes Typusporträt? Die meisten Besucher können es auf Nachfrage nicht beantworten.
    Es sind oft nur Kleinigkeiten, die sich zu einem Gesamtbild fügen: Ausstellungen heute sind auf die Passivität des Besuchers angelegt. Sehen, staunen, nichts verstehen.Gleichzeitig wird über die opportunistische, reißerische Sprache des Kunstbetriebs (»bedeutender Künstler«, »Meisterwerk«) einem Werk eine Absolutheit zugesprochen, vor der der Betrachter zu bestehen hat. Ein Museum wie die Neue Nationalgalerie begegnet dem Besucher damit heute wie vor 150 Jahren: nämlich als Weihestätte der gefeierten schönen Künste. Ein Ort, an dem Meisterwerke in angemessenem Ambiente ausgestellt werden, um zu begeistern, zu inspirieren, zu läutern. Besucher, die sich aus Unwissenheit über Kunst lustig machen und doch gleichzeitig wie Götzen vor Werken stehen, sind zum einen der Gutgläubigkeit des Publikums selbst, vor allem aber den verantwortlichen Ausstellungshäusern geschuldet. Sie rufen mit ihrer Ausstellungskultur eine Bewunderung hervor, die keine ist. Und lösen beim Besucher dadurch gleichzeitig Enttäuschung aus. In der Moderation von Ausstellungen wird fast immer auf die Bedeutung und Wirksamkeit von Kunst gesetzt: Kunst dient zur Selbsterkenntnis, Reflexion über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Die Vermittlung der Kunst findet dagegen über reine kunsthistorische Fakten oder gesetzte Behauptungen statt.
    Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in den 1960 er Jahren dazu eine Studie über europäische Kunstmuseen und ihre Besucher durchgeführt. Die Arbeit, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Alain Darbel unter dem Titel L’amour de l’art ( Die Liebe zur Kunst ) publizierte, zeigte, dass Bildungsniveau und die Interpretation von Kunst eng miteinander verbunden sind. Als Bourdieu dies schrieb, hatte sich die Kunst bereits von alten Ideen abgewandt und erfand sich ständig neu: Minimal Art. Op-Art. Konzeptkunst. Happening. Die Institutionen dagegenkonservierten ihre Ideale – und die nicht vorhandene Wertschätzung des Besuchers. So zitiert Bourdieu in seiner Studie einen Museumsbesucher: »Wenn ich ein Bild beurteilen soll, schaue ich vor allem auf das angegebene Datum, und ich bin platt, wenn es vor so langer Zeit war und man damals so gut gearbeitet hat.« Andere gaben zu Protokoll: »Ich besuche das Museum lieber mit einem Führer, der dem Normalsterblichen die unklaren Punkte erklärt und verständlich macht«, oder »Für jemanden, den es interessiert, ist es schwer. Er sieht nur viele Gemälde, viele Daten. Um da Unterschiede machen zu können, fehlt ein Museumsbegleiter. Sonst ist alles dasselbe.«
Elitäre Ausstellungskultur
    Bourdieu hatte mit seiner Untersuchung besonders auf die Klassenunterschiede hingewiesen, die die Museumskultur seiner Erkenntnis nach sichtbar macht. Gerade die gebildete Klasse sei »feindselig« gegenüber einer

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