Kunst hassen
den pilgernden Besuchermassen vor den Museen, die den Platz von Kirche und Fußball eingenommen haben. Der britische Künstler und Sänger Billy Childish, der eine Zeit lang mit Tracey Emin schlief, hat mit dem World Art Hate Day eine Kampagne für den Kunsthass entworfen. Eine Kampagne, die fordert, »mit der Heuchelei des Kunstverständnisses aufzuhören«. Diejenigen, die Kunst nicht hassen können, so Childish, sollten aufhören zu jammern und sich mehr Mühe geben. Für ihn sind Galerien »Vernichtungslager der Kunst«.
Das System ist komplex, man kann es trotzdem auf Gagosian oder Saatchi reduzieren. Besonders dann, wenn es Saatchi selbst ist, der der Kunst mit seiner Show »School of Saatchi«, in der der nächste Superkünstler gefunden wurde, ihren Trash gibt. Damit wird auch die Überhöhung eines Künstlers auf ganz neuer plakativer Ebene mit seiner Erniedrigung gleichgesetzt. Er ist nicht mehr als ein Teil seines Marktes. Auch wenn ein verträumter Rest sich einredet, dass dem nicht so sei und die Kunst sich neue Distributionswege sucht, neue Off-Spaces oder neue Ideale. Es ist eine Günstlingsgesellschaft. Wer nicht mitläuft, ist raus. So produzieren Künstler weiter für Anlässe. Für Messen, Sammler, Ausstellungsräume. Und können sich sichersein, dass sie, zumindest auf der Messe, ihr Lorbeerkränzchen abbekommen.
Hinter dem Kunsthass steht die Frage, was bildende Kunst heute leisten kann. Er greift in die verlegenen Diskussionen ein, in der viele wissen, was sie nicht sagen dürfen und die Antworten außen vor lassen. Mit dieser Art von Austausch wird sich das System totrocken. Sicher zunächst auf gesellschaftlicher Ebene, auf der es jetzt schon langweilig wird. Es ist das Bild eines Partypublikums, das sich, wie auf vielen anderen Partys auch, lächelnd »Ich hasse dich« ins Ohr flüstert. Kunsthass aber geht direkt an die Wurzel des Übels – an den falschen Respekt, der das Gerüst trägt. Es ist jedem Menschen zu wünschen, sich selbst die Befähigung zur Kritik und deren Aussprache anzueignen, um sich weder maßregeln noch manipulieren zu lassen. Das Schöne am Kunsthass ist, dass er so sehr vom Tabu besetzt ist, dass er selbst zur Waffe wird und es schafft, die Kunst zu entlarven. Weil er freier ist als alles, was sich vor ihm befindet.
Moderne Zeiten
Der Kurator des Hamburger Bahnhofs in Berlin, Prof. Dr. Blume, entscheidet sich für ein Rentier. Ein echtes, lebendiges Rentier. Der Künstler Carsten Höller würde es zusammen mit Mäusen, Fliegen und Vögeln zu einem Kunstwerk installieren, das es so im Hamburger Bahnhof noch nicht gegeben hat. Carsten Höller hatte sich in den 1990 er Jahren zusammen mit der Künstlerin Rosemarie Trockel mit Schweinen beschäftigt. Das Ergebnis: Ein Haus, in dem Mensch und Schwein für 100 Tage zusammen leben durften. Er hatte Museumsbesuchern in der Tate Modern in London riesige Rutschen installiert. Jetzt würden Rentiere in einem mit Stroh ausgelegten Gehege unter Volieren mit singenden Kanarienvögeln neben von Kinderspielplätzen inspirierten Mäusegehegen leben. Das alles würde in der großen Halle des Museums stattfinden, in der es wochenlang nach Zoo röche, dieser Mischung aus Tiergeruch und Stroh, begleitet von dem hellen Gesang der Vögel, gekrönt von einem über allem schwebendem Bett, in dem zahlende Museumsgäste eine Nacht für 1000 Euro verbringen könnten.
Eine Idee, die schon das Guggenheim Museum in New York vor einigen Jahren hatte, als Thomas Krens Direktor des Hauses war. Das Design würde so abgestimmt sein, dass schwarz-weiße Elemente neben überdimensional großen Pilzen eine Welt wie eine Filmkulisse erschaffen würden. Ein bisschen: James Bond trifft Berliner Zoo. Für Carsten Höller ein wissenschaftliches Labor. Zwei GruppenRentiere, von der eine angeblich mit Fliegenpilzen gefüttert wurde, um eine ganz bestimmte Substanz im Urin zu produzieren, die andere Gruppe Rentiere, die ganz sicher nicht mit Fliegenpilzen gefüttert wurde. Der Titel des Trankes: Soma. Genauso wie der Titel der Ausstellung. Die Wirkung von Soma: berauschte Glückseligkeit. Diese kann der Besucher im Tier suchen. Der Kern des Ganzen? Die Suche nach Erkenntnis. So wird es Blume zumindest zusammen mit seiner Kuratorin und dem Künstler der Öffentlichkeit präsentieren.
Wir haben das Gefühl zur Kunst verloren
Was aber ist Kunst? Kunst, so beschreibt der Philosoph Georg Bertram in seinem Buch Kunst: Eine philosophische Einführung ist immer
Weitere Kostenlose Bücher