Kunst hassen
Superlativ
In kaum einem Bereich unseres Lebens hat der Mythos des Erhabenen so überlebt wie in der Kunst. Die Religion sollte vielleicht noch genannt werden. Denn Künstler müssen schon allein aus ihrem Berufsethos heraus unsterblich werden. Wie Jesus. Oder eben Michelangelo. Dabei spiegelt das Erhabene in der Kunst nicht nur das Schöpferische, sondern auch den Wahnsinn. Das abgeschnittene Ohr van Goghs. Die gesellschaftliche Abgrenzung wird von der Gesellschaft selbst gefordert, der Künstler erschafft sich als kotzender Harlekin oder inspirierender Held. Dabei wissen wir längst, dass nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch seine Lebenswelt und der Kontext, in dem das Kunstwerk entsteht, eben dieses prägt. Es ist also nicht das Genie allein.
Überhaupt: Offiziell ist das Genie längst tot. Mit dem Tod des Autors Ende der 1960 er Jahre verschob sich die Frage nach der Sinngebung in die Richtung des Lesers – und in der Kunst in die Richtung des Rezipienten. Doch der wurde nie einbezogen, auch wenn einst der Zeichner und Bildhauer Ernst Barlach forderte: »Zu jeder Kunst gehören zwei: einer, der sie macht, und einer, der sie braucht.« Stattdessen ist der Betrachter ein stilles Beiwerk, der vor allem Eintritt zahlt. Das angepasste Publikum ist einer der Gründe, weshalb die Sehnsucht nach dem Genie nicht hinterfragt wird. Ein weiterer ist die genormte Gesellschaft. Wir leben in einer genormten Zeit. Heute kann alles gemessen, geplant und bewertet werden. Wir sind ständig erreichbar undunendlich vernetzt. Das Genie jedoch entzieht sich, zumindest im Ideal, einer sozialen Rolle, einer Bemessung und einer Beurteilung. So bleibt es unser Gegenbild, unsere Projektionsfläche. Der Geniegedanke bleibt, weil Kunst nicht nachvollziehbar, nicht wissenschaftlich ist. Sie wird subjektiv geschaffen und erlebt. Definiert über das gewisse Etwas, das Intuitive, das Überrationale und das Kreative. Ein Genie produziert Dinge, deren wir scheinbar nicht mächtig sind. Das Genie ist die Person, die wir nicht sein können. Sie ist die Personifizierung unserer Sehnsüchte.
Und das ist das Problem: Der Künstler wird zum Opfer unserer Sehnsüchte. Er wird hemmungslos idealisiert. Seit Kants Kritik der Urteilskraft von 1791 , in der er den Künstler als Genie bezeichnet und ihn mehr als Außerirdischen denn als Teilnehmer der Gesellschaft sieht, prägt das Kantsche Künstlerbild unser Denken. Und seine Beschreibungen wurden von der Wirklichkeit wieder und wieder nachgeahmt: Der Künstler lässt sich keine Vorschriften mitteilen. Und er arbeitet am liebsten allein. Zu viel verdienen darf er nicht. Denn finanzieller Erfolg ist etwas, für das kein Künstler insgeheim bewundert wird.
Natürlich gab es von Künstlerseite Protest, sich diesen Geniebegriff überstülpen zu lassen. Die vielen Versuche, das Bild des von Emotionen überwältigten, oftmals leidenden, einsamen Genies in der Kunst abzulegen, sind jedoch fehlgeschlagen. »Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden«, versuchte es Martin Kippenberger einmal zu formulieren. Und ergänzte: »Und ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war guter Laune.« Abgearbeitet hat er sich vor allem an der Rolle des Künstlers und seiner Autorenschaft. Mit »Lieber Maler,male mir« ( 1981 ), einer Bilderserie, die von einem Filmplakatmaler angefertigt wurde (»Mr. Werner«) – oder dem Auftrag an Annette Grotkasten, der Texterin der Band »Bärchen und Milchbubis«, die 1984 in seinem Auftrag nach Knokke fuhr, um einen fünftägigen Aufenthalt zu beschreiben, den Kippenberger dann unter dem Titel »Wie es wirklich war« veröffentlichte. Mit jeder Gegenbewegung wurde der Personenkult nur noch stärker. Das dazugehörende Socialising ist heute in jeder Kunstzeitschrift sichtbar.
Der Superlativ ist Berufsethos geworden
Das selbsternannte Genie nimmt an, dass sich der Glanz seiner Arbeit auf ihn selbst legt, dass das, was er schafft, er selbst ist. Und die Kunstwelt, die Museen, die Galeristen, die Sammler unterstützten diesen Glauben: Egal, was sie tun – Künstler sind genial, sie sind einflussreich, wichtig und bedeutend, so zumindest die Beschreibungen aus den heutigen Kunstbüchern, Katalogen und Pressetexten. Der Superlativ in der Kunst ist der gemeinsame Nenner geworden. Der gescheiterte Künstler erscheint als Masse derer, die es nicht geschafft haben. Es scheint, als sei der Künstler auch nur der Träger einer Substanz, die die Gesellschaft
Weitere Kostenlose Bücher