Kunst hassen
Definition. Im Standardwerk Lexikon der Kunst wird Kunst gar nicht aufgeführt. Der Begriff hat sich so sehr in ein Klischee verwandelt, dass das Prädikat »Kunst« heute nur noch wenig wert ist. Dabei ist der Begriff immer noch gefüllt mit Hoffnung: »Ist die Kunst der letzte Schutzraum der Meinungsfreiheit?«, fragt der Schriftzug im Hamburger Kunstverein. Leider nein. Der hierarchischen Ordnung steht ein Auftrag entgegen, der den Direktoren der Häuser zwar in den Vertrag geschrieben ist, jedoch nicht praktiziert wird. Es bleibt ein Ideal, ein scheinbar nicht zu erfüllendes Ideal. Der Initiator der documenta, der Künstler und Kurator Arnold Bode, formulierte es 1972 so: »Ich glaube, das Publikum ist nicht so gebildet wie zum Beispiel die Fußballer auf dem Fußballplatz: Die kennen die Regeln und haben so tausend Mal die Regeln verfolgt und wissen, wo die großen Spieler sind. Und dasselbe verlange ich eigentlich von einem Publikum, das zur Ausstellung geht. Wenn man nicht informiert ist, kann mannicht urteilen. Darum müssen wir informieren, und das ist, glaube ich, der Auftrag der ganzen documenta.« Doch dieser Gedanke wird nicht eingelöst.
Anfassen und fotografieren verboten
Dass Kunst keine Privatangelegenheit ist, wird dabei vorausgesetzt. Sie wird in einem Raum vermittelt, in dem klare Regeln herrschen. Ein Auszug aus einer Benutzungsordnung eines deutschen Museums: »Das Museum präsentiert in seinen Ausstellungsräumen Kulturgüter von höchstem Rang. Sie ermöglichen ihren Besucherinnen und Besuchern die unmittelbare Begegnung mit Spitzenwerken der Sammlungen weitgehend ohne Absperrungen im Vertrauen auf ein verständnisvolles, angemessenes Verhalten. Beim Besuch müssen daher folgende Vorschriften eingehalten werden.« Es folgen Hinweise zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen und Sicherheitsvorkehrungen. Sowie der Hinweis: »Die unmittelbare Begegnung mit der Kunst in eigens dafür gestalteten Räumen erfordert besondere Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz vor Beschädigungen, zugleich werden die Besucherinnen und Besucher wegen der besonderen Wirkung mancher Ausstellungsstücke zu ihrer eigenen Sicherheit aufgefordert, beim Gang durch die Ausstellung ihren Weg angemessen im Blick zu behalten.«
Der Höhepunkt der sichtbaren Hierarchie ist daher zweifellos der niedrigste Stand der Institutionen: das Aufsichtspersonal, welches, hinter Uniformen und einer seltsamen Mischung aus innerer Freudlosigkeit und äußerer Autorität versteckt, die musealen Räume mit Verzweiflung füllt. Eine Armee aus stillen Wesen, die Wächter der Verbote. Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters, aus unterschiedlichstenSchichten, zumeist über externe Firmen angestellt, in einem Beruf, der einem Aushilfsjob gleicht. Dreißig bis fünfzig Wochenstunden stehen, sitzen, laufen und vor allem: wachen. Die Aufsichten werden jedoch selbst gut bewacht. Die Anfrage nach einem Interview wird abgelehnt, Fragen zur Ausbildung oder zu Zahlen nicht beantwortet.
Laut Museum obliegt die Kunstvermittlung zudem nicht dem Aufsichtspersonal, sondern den dafür ausgebildeten Museumspädagogen: »Die Museumsaufsichten haben in erster Linie für die Sicherheit und Unversehrtheit der ausgestellten Sammlungsgüter zu sorgen und für die Einhaltung der Benutzungsordnung. Sie sind gleichzeitig für Serviceleistungen für Besucher da: Kurze Auskünfte zur Orientierung im Museum, zur Wegeleitung in der Ausstellung und zu Infrastuktureinrichtungen (Museumsshop, Café, WC etc.), zur Hilfeleistung bei ggf. notwendiger Evakuierung des Gebäudes. Das bedingt eine gute Besucherorientierung der Museumsaufsichten und deren Fähigkeit zur Konfliktbalance, denn auch Besuchern ist nicht immer deutlich, dass sie mit dem Erwerb des Tickets nicht ›das Museum gekauft‹ haben, sondern unter Akzeptanz der Benutzungsordnung ein Eintrittsentgelt für den Besuch der Ausstellung gezahlt haben.«
Es ist natürlich verständlich, dass Künstler und Ausstellungsmacher ihre Kunstwerke sichern und erhalten wollen. Die Frage ist nur wie und unter welchen Umständen. Die oben genannte Fähigkeit zur Konfliktbalance bekommt in der Realität absurde Züge. Es ist beklemmend, wenn der eigene Blick auf ein Werk, durch den Raum, auf andere Besucher, immer auch von einer anderen Person genau beobachtet wird. Und dieser Blick ist ein böser Blick, wennsich der Besucher »falsch« verhält. Es kommt nicht selten vor, dass eine Aufsicht aufgeregt losstiefelt, sobald auch nur ein
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