Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Zepter
Vom Netzwerk:
Zwangserkenntnis, ein reflektiertes Staunen und stumme Ehrfurcht.
    Warum aber unterwerfen wir uns den Ritualen einer Institution, die uns eigentlich unterstützen soll? In welcher Atmosphäre wünschen wir uns, Kunst zu betrachten? Undmit welchem Ton möchten wir angesprochen werden? Das Aufsichtspersonal wäre eine ideale Brücke, um die Distanz zwischen Museum und Besucher aufzuheben, man muss sie nur integrieren und nicht wie Fremdarbeiter behandeln. Schließlich arbeiten sie im und für das Museum und sind sicht- und hörbares Aushängeschild des Museums. Sie sind trotz aller brüsken Zurechtweisung diejenigen, die der Besucher fragen würde. Denn sie sind über die Uniform oder ein Namensschild als offizielle Person gekennzeichnet und gehören doch nicht zum Fachpersonal (Kurator etc.), so dass der Besucher keine Angst haben muss, nicht vor ihnen bestehen zu können. Zudem sind sie immer nah dran, immer erreichbar. Ein Lächeln, ein Bitteschön, ein Dankeschön, ein freundliches und vor allem angemessen leises Zurechtweisen, wenn Regeln nicht eingehalten werden (Fotografieren verboten) – das alles wäre ein Anfang, um sich als Besucher wirklich als zahlender Gast und nicht als pöbelnder Eindringling zu fühlen. Ein Pullover mit Namensschild anstatt der Uniform, eine wirkliche Fähigkeit zur Konfliktbalance anstatt voreiliges Misstrauen, das wäre eine Erleichterung. In der Terra Foundation for American Art in Chicago fragte mich zum Beispiel ein Mitarbeiter beim Ausgang: »Welche Erinnerung nehmen Sie heute aus dem Terra mit nach Hause?«
It’s cool. It sucks.
    Eine weitere Idee wäre, die Aufsichten als Informationsquelle über Besucher und auch die Kunst zu nutzen. Sie stehen den ganzen Tag in den Ausstellungsräumen und beobachten. Warum also nicht fragen, was sie beobachten? Wie gehen Besucher mit den Kunstwerken um, welcheFragen stellen sie, wo fühlen sie sich ermuntert, wo sind sie zurückhaltend? Wie gehen Besucher an dieses Kunstwerk heran? Welche Videos werden angesehen? Wie lange bleibt ein Besucher in diesem Raum? Was ist das Seltsamste / Schönste / Beste, was sie in der letzten Woche gesehen haben?
    Ein Schritt, um die Hierarchie aufzulösen und miteinander ins Gespräch zu kommen, könnte eine bessere Nutzung des Besucherbuchs sein. Auf einem Besucherbuch steht »Besucherbuch« und dann beginnen leere Seiten. Wer das meist schwarze, lederne Büchlein am Ende einer Ausstellung aufschlägt, bekommt Kommentare zu lesen wie: »Mir hat die Ausstellung sehr gefallen.« »Insgesamt zu wenige Sitzplätze.« »Genial!« »Kunst ist scheiße« »Maria was here.« Oft sind kleine Zeichnungen dabei, gekritzelte Namen, Inseln mit Palmen, Pfeile. Die Recherche wird schnell langweilig, weil immer dieselben Kommentare in den Büchern stehen.
    Der britische Wissenschaftler Richard Toon machte vor ein paar Jahren eine ähnliche Erfahrung: Die Kommentare schwankten zwischen »It’s cool« und »It sucks«. Toon beschreibt in seinem Essay »Messages in Bottles«, wie ein Museum kommunizieren kann, anstatt am Ende des Rundgangs eine Bewertung abzuverlangen. Und er beschreibt, wie sehr dabei die Qualität der Frage die Qualität der Antwort bestimmt. Ein »Please tell us what you made of the exhibit« als Überschrift lud vor allem gebildete Erwachsene ein (»der Lehrer«), während der Rest zwar seltener, aber dennoch weiterhin »It’s cool« und »It sucks« in das Buch schrieb (»die Schüler«). In der Ausstellung, »What about Aids?«, die die Krankheit zum Thema hatte, hatten die Kuratoren eine Wand mit Briefen und kleinen Zetteln überAids kreiert und die Besucher eingeladen, ihre Gedanken auf Papier zu formulieren und in eine Box neben der Wand zu werfen. Die Qualität der Antworten war überragend. Viele Besucher formulierten kleine Briefe, drückten ihre Ängste und Hoffnungen aus, beschrieben die Probleme, die die Gesellschaft mit der Krankheit nach wie vor hat. Hier war der konkrete Anreiz ausschlaggebend.
    Ein Besucherbuch kann also sehr wohl neues Wissen über das Publikum vermitteln – und es kann die Ausstellung erweitern, indem es das Publikum einlädt, seine Gefühle und Gedanken zu teilen. Die übliche Standardausrede: Es ist kein Geld da, zählt dann nicht mehr.
    Kein Geld – oder keine Zeit, einer Museumsaufsicht das Lächeln beizubringen? Oder ein paar Sätze zu formulieren? Dass ein Museum keine verschnarchte Erziehungsanstalt ist, kann das Museum nur selbst beweisen.



Wahnwitz und

Weitere Kostenlose Bücher