Kunst hassen
Moment denkt man, die Farbe seiner Turnschuhe korrespondiert mit dem Logo der Jacke. Dann sieht man ihn wieder an, sein Gesicht. Seine Kunst hat ihn bekannt gemacht, deshalb reden wir. Sie hat Kraft. Sie ist kompromisslos. Wenn er redet, dreht sich sein Kopf. Ganz langsam. Er hebt das Kinn und legt seinen Kopf nach hinten, dann werden seine Augen klein. Dann rutscht er wieder nach vorn, und sein Kopf dreht sich zu seinem Computer. Künstler sein ist cool. Es hat eine Distanz zum Gewöhnlichen und nimmt als Form des Neugedachten und individuellen Ausdrucks das Ideal unserer modernen Gesellschaft ein. Als Außenseiter der Gesellschaft erfindet der Künstler das Neue, das, was noch nicht da gewesen ist. Er hat Fans, eine Gemeinschaft von Gläubigen: Galeristen, Sammler, irritierte, begeisterte Betrachter. Er ist der Held, der Rebell, das Genie, der Intellektuelle, der Idiot, der Therapeut, der Gott, das Kind. Es ist der Mythos des Künstlers, der ihn trägt. Und der ist heute stärker als je zuvor. Ein Künstlerweiß, wer er ist. So sehr, dass er vergessen hat, wer er sein könnte.
Pflichterfüllung Charisma
Er ist kein Einzelfall. Aufgewachsen auf dem Land, Schulabschluss, Abfahrt. Sein erstes Konzert war Primal Scream oder Stone Roses oder doch Stereo Total? Technoparties. Dann das Kunststudium. Spät beendet, mit Ende Zwanzig. Berlin, New York. Als er eines seiner ersten Bilder malte, fing er irgendwo an, und als er fertig war, war er selbst fertig. In einem Raum von wenigen Kubikmetern konserviert er seine Karriere. Auf einem Schrank liegt eine Zeitschrift, sie gehört zu seinem Werkarchiv. Der Künstler ist dort auf den Partyseiten abgebildet. Sein Ziel: unsterblich werden. Das heißt übersetzt: irgendwann Bestandteil der Kunstgeschichte zu sein. Oder eines Museums – oder Sammlerarchivs. Wenn ich richtig berühmt werden wollte, sagt er, wäre ich Schauspieler geworden. So berühmt, dass mein Gesicht in den GMX News auftauchen würde.
Zu unserem Künstlerbild gehört der Ruhm. Er ergibt sich aus mehr als aus einer Summe von Einzelheiten: Es ist die Arbeit des Künstlers, sein Auftreten, seine Bewertung von sußen, unsere Sehnsucht. Je mehr er ins Mark trifft, je mehr er seiner Zeit voraus ist, desto größer kann sein Ruhm werden. Muss er aber nicht. Auch das Asoziale, das Andere, die Nähe zur Gesetzlosigkeit, zum Exzess sind unsere Sehnsüchte, die der Künstler ausleben kann, die ihn interessant machen. Der Exzess schrumpft bei der Kunstpräsentation leider schnell zu einer Warenhausästhetik – oder noch schlimmer, zur Kleinkunst zusammen. Im Zweifel macht das nichts, denn der Künstler hat im bestenFalle genug Charisma, um das auszugleichen. Charisma ist für einen Künstler heute wichtiger als Charakter. Das beginnt nicht nach dem Abitur oder dem Realschulabschluss. Es beginnt dann, wenn Politik gemacht wird: in der Meisterklasse, im Atelier, in der Galerie. Auch ein Künstler kann urteilslos, bequem und naiv sein.
Frei ist der Künstler heute dennoch sicher nicht. Das liegt an ihm, und es liegt an uns. Denn, obwohl es nach dem Gegenteil aussieht, tut die Gesellschaft alles, um den Künstler in seinem Rollenbild festzulegen. Ein Künstler darf eben nicht machen, was er will. Paradoxerweise wird dies aber von der Gesellschaft gefordert. Der Künstler als Glamoursklave. Da fällt es schwer, aufrecht zu bleiben anstatt zu kriechen. 1975 lässt sich der Künstler Les Levine auf Manhattans Bowery Street filmen, er meidet jeglichen Kontakt mit den Passanten und blickt stattdessen – mit Sonnenbrille – in die Kamera und wiederholt immer wieder: »I am an artist, I have nothing to do with you. I am an artist, I don’t want to be involved.« Levine, der seine Arbeit sehr wohl in einem sozialen Kontext sieht, setzte der Grenze zwischen Künstler und Gesellschaft damit ein Videodenkmal.
Kunst oder Künstlersozialkasse
Der Künstler ist eine perfekte Oberfläche, so dass sich alle in ihm spiegeln können. Er ist zu aufgeklärt, um dem Betrieb zu glauben. Zu verspielt, um sich dem System ganz hinzugeben. Und doch arm oder eitel genug, um dabei zu sein. Von irgendwas muss er ja leben. Selbstaufgabe, Leid und Verzicht gehören ebenso zum Mythos des modernen Künstlers wie Ruhm und Ehre. Er ist ehrlich,erfindet jedoch Geschichten. Es ist leicht, ihn zum Lachen zu bringen. Man fragt: Willst du mit deiner Kunst etwas kritisieren, und er lacht schon, er lacht noch lauter. Ein Sammler hat vor kurzem die bisher
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