Kunstblut (German Edition)
Adresse in Golzheim, die ich im Telefonbuch gefunden hatte. Herr Kim nickte nur und fuhr los. Sechs Minuten später hielt er vor einem aufwendig restaurierten Altbau in der Reeser Straße. Er versprach mir, zu warten. Als ich die Eingangstreppe hinaufging, wurde die Haustür geöffnet. Sobald der Spalt die Breite von zehn Zentimetern erreicht hatte, kam ein schrill jaulendes weißes Etwas daraus hervorgeschossen, das ich nur mit einem energischen Tritt davon abhalten konnte, sich in meine Hose zu verbeißen. Der Pekinese oder was immer die Typenbezeichnung dieser Zwergenbestie sein mochte, kugelte die Treppe hinunter. Eine ältere Dame kam aus der Tür und schrie dem Hund hinterher. Kopfschüttelnd warf sie mir giftige Blicke zu, während ich die Gelegenheit nutzte und durch die offene Tür ins Treppenhaus trat.
Madame Toussaint wohnte im zweiten Stock. Als sie auf mein Klingeln hin ihre Wohnungstür öffnete, erwartete sie jemand anderen, was man an ihrem schnell verlöschenden Lächeln und der überaus reizvollen violetten Spitzenwäsche sehen konnte, die sie trug. Sie knallte die Tür wieder zu, hängte die Kette vor und öffnete wieder.
»Was wollen Sie?« Ihr Vorname war Natalie, und sie pflegte ihren Akzent sorgfältig, was gut zu ihrer anmutigen Figur und ihrer hübschen kleinen Nase passte. Das war auch schon das Positivste an unserer ersten Begegnung. Ihre Augen funkelten unfreundlich durch den Türspalt.
Ich reichte ihr meine Visitenkarte. Nach einem kurzen Blick darauf fauchte sie etwas, das mein Französisch überforderte, und versuchte, die Tür erneut zuzuknallen, was nur durch meine Schuhspitze verhindert wurde. Mir gelang es anzumerken, dass ich nur ein paar Fragen hätte, aber sie kreischte:
»Nehmen Sie die Fuß weg oder isch ruf die Polizei!«
»Ich arbeite für Frau Schwarzenberger«, schaffte ich einzuwerfen – sie war nicht beeindruckt.
»Gehen Sie weg! Isch ‘abe die Polizei schon alles erzählt, isch ‘abe nichts zu tun mit cretins wie Sie!«
Ich muss gestehen, dass mich die Heftigkeit ihrer Reaktion überraschte.
»Gehen Sie!«
»Aber Madame …«
»Was ist hier los?«, unterbrach mich eine seltsam hohe Stimme hinter mir.
Ein Mann von Mitte fünfzig stand vor der geöffneten Aufzugtür und starrte mich mit leicht schräg gelegtem Kopf an. Die kleinen, blassgrauen Augen blickten von der Welt im Allgemeinen und der Situation im Besonderen angewidert. Auf seinem kahl rasierten Schädel spiegelten sich die Deckenlampen des Flurs. Er war schlank. Ich schätzte ihn auf durchtrainierte Einsneunzig, aber er war nicht der Mann, der es nötig hatte, sich zu schlagen. Er ging nicht, er schritt auf mich zu. Sein Dreiteiler war aus dickem, fliederfarbenem Wollstoff. Aus dem Brokathemd quoll ein großes, blutrotes Seidenhalstuch. Ein taubenblauer Mantel mit persianerbesetztem Kragen hing über seinen Schultern. Seine Hände, an deren Mittel- und Ringfinger mächtige Goldringe prangten, hingen locker herab. Die Rechte hielt einen Ebenholzstock mit stählerner Spitze und einem Wolfskopf aus Messing als Knauf. Er war einer der unangenehmsten Menschen, die in Düsseldorf frei herumliefen. Eine Zeitschrift hatte seinen Namen einmal in die Liste ekliger Wörter aufgenommen.
Professor Lothar van Wygan.
Künstler.
»Beantworten Sie meine Frage, junger Mann.« Keine zwanzig Zentimeter vor mir blieb er stehen und klopfte mit dem Messingwolf gegen meinen Solarplexus.
Ohne zu grinsen griff ich nach dem Stock und hielt ihn fest. Er hob die Brauen, aber seine Lider zuckten nicht. Seine Lider zuckten nie. Ein Mann mit Macht.
»Ich bin erstaunt, Sie in solcher Umgebung vorzufinden, Herr Professor«, sagte ich.
Er sah sich mit gespielter Verwunderung um. »Die Umgebung scheint mir wenig Anlass zur Kritik zu bieten. Lassen Sie jetzt den Stock los und lösen Sie sich in Luft auf, wer oder was immer Sie sein mögen. Ich wünsche, dass Sie verschwinden, ohne erneut das Wort an mich zu richten, Herr.«
»Den Gefallen kann ich Ihnen nicht tun, Herr Professor. Es geht um Mord.«
»Immerhin«, antwortete er.
»Isch ‘abe die Polizei alles gesagt«, ließ sich Madame Toussaint in meinem Rücken vernehmen.
Immer noch starrten van Wygan und ich uns in die Augen. »Vielleicht können Sie mir erklären, warum Madame sich so unkooperativ zeigt, Herr Professor.«
»Ich vermute, sie findet Sie abstoßend. Ihre Aura ist irgendwie … negativ.« Seine fleischigen Lippen verzogen sich angewidert. »Sie riecht
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