Kunstblut (German Edition)
da eine Wohnung hatte, und Unterrath, so versicherte sie mir glaubhaft, Unterrath sei wirklich das Al-ler-letzte . Kein Mensch sollte jemals in Unterrath wohnen müssen.
Ich sagte: »Je nun«, aber sie fuhr mir über den Mund, indem sie ihre Stimme erhob, obwohl sie, vermutlich um sich meiner Aufmerksamkeit als normal großem Menschen sicher zu sein, ohnehin schon mit einer erheblich überdurchschnittlichen Lautstärke redete.
Ich entschied mich, ihr bedingungslos Recht zu geben, und trank einen Schluck von meinem Kölsch, was meine Laune nicht steigerte, ebenso wenig wie meine Gesprächspartnerin sich durch meine Zustimmung davon abbringen ließ, mir zu versichern, wie gut sie Düsseldorf im Allgemeinen und Unterrath im Speziellen kenne, und dass beides eigentlich unbewohnbar sei.
Ich sah zu Friedel, aber der flirtete mit der Wirtin.
Die Tür der Damentoilette öffnete sich, und eine sehr blonde, sehr betrunkene Mittdreißigerin in Jeansjacke taumelte daraus hervor. Sie steuerte vage auf ein halb leeres Glas neben mir zu, während meine Gesprächspartnerin ihr Thema weiter ausführte. Als die Blondine das rettende Glas erreicht hatte, klammerte sie sich daran fest, bis aus der Suada meiner kleinwüchsigen Referentin das Wort »Düsseldorf« an ihr Ohr drang.
»Düsselldorff?«, stieß sie hervor und stierte mich an. » Du bist aus Düsselldorff ?«
»Ja, der ist aus Düsseldorf«, antwortete es von unten, und die Miene der Blonden verdüsterte sich entschieden. Sie schob sich an mich heran, bis sich unsere Nasen fast berührten. Dann öffnete sie den Mund und begann zu brüllen:
» SCHEISS DEG – SCHEISS DEG – SCHEISSE SCHEISSE SCHEISSE DEG !«
Sie beließ es nicht bei einem Durchgang, sondern wiederholte ihr Liedchen ein ums andere Mal. Unangenehmerweise war die Zwergin, wenn ich sie so nennen darf, nicht bereit, meine Aufmerksamkeit mit irgendjemandem zu teilen, und erhob ihre Stimme um ein weiteres Maß, um mir erneut mitzuteilen, von welch geringer Lebensqualität das Wohnen in Düsseldorf-Unterrath sei, wo sie sich aus eigener Erfahrung sehr gut auskenne.
» SCHEISS DEG – SCHEISS DEG – SCHEISSE SCHEISSE SCHEISSE DEG !«, wiederholte die Blonde.
Ich sah zu Friedel, der gemeinsam mit der Wirtin sichtlich amüsiert Zeuge meiner Folterung war, und verabschiedete mich mit einem Winken von ihm.
»Ich komme nach«, sagte er.
»Aber dalli«, antwortete ich, bevor ich nach draußen in die abendliche Stille flüchtete.
»Irgendwie haben sie die hier nicht alle«, sagte Herr Kim, als ich wieder hinten im Wagen saß.
»Ja«, antwortete ich, »irgendwie.«
Friedel ließ auf sich warten. Es dauerte fast fünf Minuten, bis er wieder erschien.
»Gefiel’s dir nicht?«, fragte er und grinste.
»Nicht wirklich.«
»Du hast einfach mit den falschen Leuten gesprochen.«
»Gesprochen? Ich habe keinen Satz zu Ende gebracht!«
Er lachte. »Mir ist es immerhin gelungen, das angeborene Misstrauen der Wirtin gegen unsereinen zu überwinden, und ich weiß jetzt, dass Herr Steen hier als Hansi bekannt ist und regelmäßig verkehrt. Er gilt hier als Künstler, das heißt, er hat einen großen Deckel und darf sich ab und zu mal danebenbenehmen, aber nicht zu sehr.«
»Und van Wygan?«
»Den hat sie noch nie vorher gesehen.«
»Sonst noch was?«
»Ja. Steen hat eine Freundin. ›’et Jossefinn‹, Nachname unbekannt. Bei der ist er oft. Wohnt irgendwo hier um die Ecke.«
»Damit kann man was anfangen.«
Ich dirigierte Herrn Kim vor das Haus, in dem Steen verschwunden war. Auf den meisten Klingelschildern waren die Vornamen nicht vermerkt, aber es gab eine oder einen J. Hogenstraat. Eine Türsprechanlage gab es nicht. Ich drückte auf den Knopf. Zunächst passierte nichts, also klingelte ich so lange, bis etwas passierte; der Türöffner brummte leise. Friedel im Schlepptau, stürmte ich die Treppe hoch. Ein verschlafen aussehender Mann um die sechzig stand im Bademantel hinter einer Tür im dritten Stock. Ich klappte meine Brieftasche auf und zeigte ihm für eine halbe Sekunde meinen Führerschein.
»Kripo Köln. Herr Joseph Hoogenstraat?«, fragte ich.
»Johann«, röchelte der Mann, »Johann Hoogenstraat. Was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?« Dabei musterte er Friedel voller Misstrauen.
»Wir haben verlässliche Informationen, dass sich zurzeit ein Krimineller in diesem Haus aufhält. Gibt es noch andere Bewohner, deren Vorname mit einem J beginnt?«
»Äh …« Er starrte mich überfordert
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