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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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aufbewahrte, stimmte sie nachdenklich. Auf dem Schreibtisch lag eine ausgerissene Seite des Wiesbadener Tagblatts: Ein Bericht über den Toten vom Waldparkplatz. Nur dieses eine Blatt. Sorgsam legte sie es an seinen Platz zurück und verließ das Zimmer.
    Vor der Tür mit dem Che-Poster war erst einmal Schluss. Dem Sicherheitsschloss war ihr Gerät nicht gewachsen. Stattdessen nahm sie sich die Kommode im Flur vor und stieß zwischen Handschuhen, Schals und Regenschirmen auf den Kellerschlüssel, wie der beschriftete Anhänger verriet. Daniel hatte ihn nicht herausgeben wollen, lieber ihre Reisetasche eigenhändig hinuntergetragen und grimmig gelächelt, als Norma scherzhaft fragte, ob er in der Abstellkammer den Nibelungenschatz einlagere. Er wolle nur vermeiden, dass jemand sein Gerümpel dort entsorge, behauptete er und lieferte ihr damit Grund genug für einen heimlichen Besuch. Auf dem Weg nach unten begegnete ihr ein Mädchen mit durchscheinender Haut und struppigem Haar wie das des roten Katers. Wie in Trance blickte sie an Norma vorbei und würde sich wohl kaum an die Begegnung erinnern. Der Kellerflur war mit verschiedenen Türen bestückt, und in die dritte passte der gefundene Schlüssel. Drinnen war es stockfinster, die Luft roch nach Staub und Schimmel. Norma tastete nach dem Lichtschalter, eine trübe Birne glomm auf. Der Raum war aufgeräumt, wie es von Daniel zu erwarten war. Kartons und Hausrat füllten einen Schrank ohne Türen. In einer Ecke stand ein betagter Kohleofen, auf dem ihre Reisetasche einen Platz gefunden hatte, und gegenüber befand sich ein Spind, der durch ein Vorhängeschloss versperrt war. Zu schmal, als dass der Jawlensky hineingepasst hätte, war Norma sicher, und sie verzichtete darauf, das Schloss zu knacken. Nun wusste sie wenigstens, dass hier unten nichts Lohnendes zu entdecken war.
     
    Die Kaffeemaschine beendete ihre Arbeit mit einem Zischen, und unten auf der Taunusstraße war die Hupe endlich verstummt. Norma füllte einen Schuss Milch in den Becher und goss den Kaffee darauf. Das Notebook war hochgefahren; sie meldete sich an und öffnete das Internet. Unter dem Stichwort ›Rico Götz‹ fand sich eine Reihe von Einträgen, mit denen sie sich in der folgenden halben Stunde konzentriert beschäftigte. Das Talent des jungen Sportlers und sein fieberhafter Ehrgeiz fanden allgemeine Anerkennung. Im vergangenen Oktober startete er sogar beim Ironman in Hawaii, begleitet von verheißungsvollen Kommentaren. Er konnte die Erwartungen nicht erfüllen, schied im Marathon kurz vor dem Ziel aus. Ein körperlicher Zusammenbruch angeblich. Oder vorgeschoben? Von Doping würde gemunkelt, meldeten mehrere Fachartikel, und man habe die Sperrung von weiteren Wettbewerben angemahnt, obwohl sich keine Beweise finden ließen. Daraufhin kündigte ein wichtiger Sponsor die Verträge, hieß es in einer Pressemeldung.
    Sie rief Ricos private Homepage auf und scrollte sich durch die Liste der Erfolge. Über Persönliches war wenig zu erfahren. Sie überflog den Lebenslauf, der aus einer öden Auflistung von Daten wie Geburtstag und -ort (Wiesbaden), Einschulung, Abitur und anderem bestand. Die Lehre als Bankkaufmann hatte er – zugunsten des Sports – nach der halben Zeit abgebrochen. Ein Link führte auf die Trainingspläne, die Jahre alt waren und ein imponierendes Programm aufzeigten, wie selbst Neider einräumen müssten. Der Webmaster hatte es sich leicht gemacht, einfach die Pläne mitsamt der handschriftlichen Anmerkungen gescannt und als PDF-Dateien eingefügt. Norma vergrößerte den Bildausschnitt und sah sich die Kritzeleien genauer an; allem Anschein nach Notizen des Trainers. Unter einem Blatt stand ein dickes Lob: ›Der Durchbruch! Weiter so, Rico!‹ Der Satz wurde umrahmt von einer Reihe Ausrufezeichen und war unterschrieben mit ›Pitt‹.
    Pitt! Ein Zufall? Der Zeitungsartikel in Ricos Zimmer kam ihr in den Sinn. Aus welchem Grund mochte Rico den Text aufgehoben haben? Als Versuch schickte sie eine gemeinsame Suchanfrage für ›Rico Götz‹ und ›Pitt Metten‹ los. Bevor sie sich das Ergebnis vornehmen konnte, klingelte jemand an der Wohnungstür.
    Der smarte Makler! Sie hatte nicht gewusst, wen der Makler mitbringen wollte, und stand unvermittelt dem Rechtsanwalt Eiko Ehlers gegenüber, der nicht minder überrascht schien, die unerwartete Begegnung aber mit zweifellos größerer Freude zur Kenntnis nahm.
    »Die Herrschaften kennen sich also«, bemerkte der Makler

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