Kunstgriff
säuerlich, als verabschiedete er sich in Gedanken von der Provision. Der Mann in den Vierzigern schien völlig unbelastet von dem einschmeichelnden Wesen, das sie von einem Makler erwartet hatte. Lutz hatte ihn empfohlen. Vermutlich gerade deswegen. Lutz schätzte Menschen, die sich nicht an Klischees hielten.
Norma war in Gedanken vor allem mit Eiko Ehlers beschäftigt.
»Du bist auf Wohnungssuche?«, bemerkte sie wenig geistreich, während sie fieberhaft überlegte, wie sie aus der Sache herauskommen könnte.
Ihr Verhältnis zu Ehlers war zwiespältig. Er hatte sie bei der Suche nach Marika Inken tatkräftig unterstützt und ihr nur kurze Zeit später im Gericht gegenübergestanden: Als Verteidiger jenes Mannes, der Arthurs Tod verschuldet und sie selbst in tödliche Gefahr gebracht hatte. Eiko Ehlers ging damit seiner Aufgabe nach – so engagiert und ehrgeizig, wie ein Mandant nur hoffen konnte. Norma, die ihm als Zeugin Rede und Antwort stehen musste, fühlte sich schutzlos und ausgeliefert. Seit den Verhandlungen war sie ihm nicht mehr begegnet.
»Ich schaue mich nach Räumen zum Wohnen und Arbeiten um«, erklärte er bester Laune. »Wie du dich vielleicht erinnerst, wohne ich seit der Scheidung im Büro. Zuerst war es eine Notlösung. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Die Kombination bietet viele Vorteile.«
Norma wusste, die Kanzlei lag im Schiffchen, wie die Wiesbadener jenen Bereich der Altstadt nannten, in dessen Häuserzeilen man die Form eines Schiffsrumpfs erkennen konnte, hatte ihn aber nie dort aufgesucht.
»Warum lässt du nicht alles, wie es ist?«
Er lächelte mit gespielter Zerknirschung. »Ich lebe aus der Mikrowelle, der Platz reicht nicht für eine Küche. Nichts gegen die Couch im Arbeitszimmer, aber auf Dauer hätte ich gern ein richtiges Bett.«
Der Makler besann sich auf seinen Auftrag. »Hier haben Sie allen Komfort, den Sie wünschen, Herr Ehlers. Frau Tann, darf ich?«
Er zwängte sich an Norma vorbei und wies einladend in den größten Raum, das frühere Wohnzimmer. Sie überließ ihm die Führung und kehrte an den improvisierten Arbeitsplatz zurück. Die Suchmaschine hatte eine Liste mit Links ausgeworfen. Ihr Herz schlug schneller. Volltreffer! Peter ›Pitt‹ Metten war der langjährige Trainer des Triathleten Rico Götz. Stellte sich nur die Frage, ob darin irgendeine Bedeutung für ihren Fall liegen mochte. Oder, auf den Punkt gebracht: Gab es einen Zusammenhang zwischen dem verschwundenen Bild und dem Mord auf dem Waldparkpatz?
11
Die Abendluft war erfüllt von schrillen Rufen in auf- und abschwingenden Wellen, wie Wolfert wusste, ohne die Stimmen hören zu können. Er malte sich aus, wie es sein mochte, ausschließlich nach dem Gehör zu jagen und als Schatten durch die Nacht zu segeln; hungrig und gierig auf Beute. Wieder flatterte einer der flinken Jäger vorüber. Er hob das Nachtglas in den Abendhimmel und versuchte, den rudernden Flügelschlägen zu folgen. Ein Großes Mausohr, so vermutete er. Die Rufe galten nicht der Verständigung untereinander, sondern ausschließlich der Jagd. Das Große Mausohr lebe und jage als Einzelgänger, hatte Wolfert gelesen.
Eine gefällte Buche genügte ihm als Sitzplatz. Das Weizenbier hatte er auf dem Stumpf eines Astes abgestellt, der die glatte Rinde wie eine winzige Tischplatte überragte. Über die Theatermulde hinweg schallte das Stimmengewirr aus dem Biergarten herüber, das Wolfert wie das Gurgeln eines Gebirgsbachs erschien und ihm das Gefühl vermittelte, ungestört, aber nicht einsam zu sein. Er kam gern auf den Neroberg für ein oder zwei Glas Bier, um die Fledermäuse zu beobachten, und er mochte den Ausblick. Unterhalb des Tempelchens, dessen Säulen im Nachtlicht wie Marmor schimmerten, breiteten sich die Lichter Wiesbadens und der Nachbarstadt Mainz aus.
An diesem Abend schenkte er der Fernsicht wenig Aufmerksamkeit. Kein Wunder, diese Müdigkeit nach so einer Woche, gestand er sich ein. Dies war sein erster freier Abend. Wie bei einer Sonderkommission unvermeidbar, wurde weit über die übliche Dienstzeit hinaus gearbeitet. Wolfert kümmerte es wenig. Zu Hause wartete niemand, und den Fledermäusen war es gleichgültig, ob er hier saß und sich für ihre Flugkünste begeisterte. Nach seiner Überzeugung gebührte jedem Opfer der höchstmögliche Einsatz aller Ermittler. Die Tatsache, dass die Aufklärung dem Opfer im Nachhinein nicht mehr helfen konnte, tat nichts zur Sache. Mutmaßungen, ob die Tat
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