Kunstgriff
verloren hat!« Er streckte die Hand aus.
Norma hielt ihn zurück. »Halt! Hände weg!«
»Was erlauben Sie sich? Das ist schließlich mein Revier!«
»Bitte, wenn Sie unbedingt Ihre Fingerabdrücke daraufbringen wollen.«
Das sah er ein und überließ es ihr, ein Papiertaschentuch aus der Gürteltasche zu ziehen und damit nach dem Metallstück zu greifen, das federleicht in ihrer Hand lag. Zwei messerscharfe Schneiden verliehen ihm die Form eines Blattes. Die Flächen waren durchbrochen, sodass nur die feinen metallenen Rippen stehen geblieben waren. Eine ebenso kunstvolle wie todbringende Waffe.
13
Montag, der 16. Juni
Eine Woche war seit dem Diebstahl verstrichen, und die Entführer ließen nichts von sich hören. Undines Unmut stieg von Tag zu Tag. Zu ihren Sorgen um das Gemälde kam die Schmach über ein peinliches Telefonat mit den Baseler Ausstellern, die sie mit einer Notlüge vertrösten musste. Am Montagvormittag schlich sie wie eine verletzte Tigerin durch die Galerie. Norma saß hinter der Stellwand am Schreibtisch und lauschte dem rastlosen Streifzug, während sie die Computerpost bearbeitete. Sie hatte Verständnis für Undines Ungeduld, war schließlich selbst verstimmt, weil es überhaupt nicht voranging. Anstatt ihren eigenen Fall zu lösen und das Bild aufzuspüren, half sie der Sonderkommission ›Bogenschütze‹ auf die Sprünge. Wie gut, dass Undine nichts von der seltsamen Fügung wusste. Es hätte ihr gar nicht gefallen. Die Galeristin teilte nicht gern.
Mit der Pfeilspitze in der Gürteltasche war Norma zügig zum Auto gejoggt und ins Kommissariat gefahren. Für die Sonderkommission gab es keine freien Tage. Norma platzte mitten in eine Besprechung hinein.
Die Männer und Frauen, die seit Dienstag an dem Fall arbeiteten, schienen dankbar für die Unterbrechung und empfingen sie mit herzlicher Freundlichkeit. Selbst Eppmeier ließ sich zu einem Handschlag bewegen. Eine hübsche junge Frau, die sich als Sema vorstellte, behauptete, schon viel von der ehemaligen Kommissarin gehört zu haben – nur Gutes selbstverständlich, wie sie verschmitzt hinzufügte. Milano schnitt eine Grimasse, die vermutlich ein Lächeln darstellen sollte. Wolfert schien kurz davor, sie in die Arme zu schließen, wich wie vor sich selbst erschrocken zurück und rettete sich in ein verlegenes Hüsteln. Der Chef Gert-Michael Schneider trug persönlich einen Kaffee mit extra viel Milch heran.
»Dabei wisst ihr noch gar nicht, was ich euch mitgebracht habe«, sagte sie, von so viel Fürsorge gerührt.
Unmittelbar darauf kam die Übelkeit. Ihr wurde heiß, dann eisigkalt. Das Herz begann zu rasen, und sie spürte, wie alle Energie über Brust und Bauch in die Beine sackte und im Fußboden zu versickern schien. Kraftlos rettete sie sich auf einen Stuhl, erfüllt von Scham und Zorn. Deswegen hatte sie den geliebten Beruf aufgeben müssen. Weil sie die Enge und die Menschen nicht ertragen konnte. Sie schloss die Augen, zählte langsam von zehn auf eins herunter und zwang sich zu atmen. Als sie die Augen wieder aufschlug, fühlte sie alle Blicke auf sich gerichtet. Zur Ablenkung langte sie in die Gürteltasche und legte das Taschentuch mit einer knappen Erklärung auf den Besprechungstisch. Die versammelte Mannschaft steckte die Köpfe darüber zusammen. Als sie Reisingers Namen nannte, herrschte kurzfristig angespanntes Schweigen, das gleich darauf in eine hitzige Diskussion umschlug. Offenbar war sein Alibi bisher nicht bestätigt worden und die Verwandtschaft noch nicht vernehmungsfähig, schloss sie aus den Bemerkungen der Kollegen.
»Damit kriegen wir ihn!«, rief Sema angriffslustig.
Norma musste raus, traute aber den Beinen nicht. Gert klopfte ihr kameradschaftlich auf die Schulter. Das könne der Durchbruch sein, verkündete er zuversichtlich mit der Bitte, ob sie die Kollegen umgehend zum Fundort führen wolle. Sie nickte wortlos und fing Wolferts besorgten Blick auf. Sema erhielt den Auftrag, das Indiz der Kriminaltechnik zu überbringen und sich anschließend mit den Kollegen der Spurensicherung die Gegend rund um den Hochsitz vorzunehmen. Mit aufgestachelter Motivation strebte die Gruppe aus dem Zimmer. Norma blieb am Besprechungstisch sitzen und sammelte Kraft. Sie atmete. Konzentriert und tief. Zehn, neun, acht …
Mit einem Mal saß Wolfert an ihrer Seite und reichte ihr ein Glas Wasser. »Du siehst aus wie eine Wasserleiche. Algengrün im Gesicht.«
»Danke für das Kompliment.« Was war mit
Weitere Kostenlose Bücher