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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Schritte ruderten und die Tasche ins Schlenkern brachten. Der Marsch zog sich hin. Sie ließ ihn weiter vorausgehen, konnte ihn im weiten Buchenwald nicht so schnell verlieren. Als der Pfad auf eine Fichtenschonung zuführte, schloss sie näher auf. Die Voraussicht bewährte sich: Zielstrebig bog Reisinger ins Grün ab.
    Norma spurtete hinterher. Sie hatte sich die Lärche mit der gebrochenen Spitze eingeprägt, auf deren Höhe Reisinger verschwunden war, und stieß auf einen Wildwechsel, der sich zwischen buschigen Fichten hindurchschlängelte. Gebückt schlich sie voran, die Hände schützend vor das Gesicht gehoben, und fühlte sich nackt und verletzlich, als die nassen Zweige ihre Arme streiften. Zwischen den Bäumen hielt sich die Kühle der Nacht. Die Luft schimmerte dunstig, und das Unterholz stand dicht. Bei jedem Schritt musste sie damit rechnen, auf den Verfolgten aufzulaufen oder mitten hinein in das Lager einer Wildschweinfamilie zu stolpern und den Zorn der Bache zu entfachen. Sie tastete nach der Gürteltasche. Etwas anderes als das Handy und Schlüssel, Klappmesser und ein Päckchen Taschentücher hatte sie zur Verteidigung nicht dabei.
    Ein letzter Schlenker um einen Stamm herum, und die Schonung öffnete sich zu einer Waldwiese. Hier fiel das Gelände steil ab. Buschige Bäumchen erhoben sich über die Grashalme, als besäßen sie den eiligen Auftrag, die Fläche zu schließen. Sie sah sich nach Reisinger um und konnte ihn schließlich am oberen Rand der Lichtung vor einer Reihe ausgewachsener Lärchen ausmachen. Eine Holzleiter führte einen Stamm hinauf, an deren Fuß der Jäger stand, der den Rucksack abgelegt hatte und sich an der Tasche zu schaffen machte.
    Im Schutz der Bäume pirschte Norma heran. Reisinger räumte Werkzeug aus der Tasche: Eine Kettensäge, einen wuchtigen Hammer und einen Fuchsschwanz, der im Sonnenlicht aufblitzte. Zum Schluss nahm er einen Kuhfuß heraus und machte sich daran, die unteren Sprossen von der Leiter abzuziehen.
    Norma kam sich mit einem Mal lächerlich vor. Was hatte sie erwartet? Dass der Mordverdächtige eine Leiche verscharrte? Sie gab das Versteckspiel auf und trat auf die Lichtung hinaus. Die Sonne wärmte und trocknete die nassen Arme. Reisinger war so mit der Leiter beschäftigt, dass er ihr Kommen nicht bemerkte und zusammenfuhr, als sie ihn ansprach.
    »Frau Tann! Sind Sie mir etwa nachgegangen?«
    »Ich mache nur einen Spaziergang.«
    »Aber nicht hier! Dies ist eine Wildruhezone. Hier hat niemand etwas zu suchen!«
    »Es sei denn, man bringt einen Hochsitz in Ord-nung!«
    »Seit Wochen liegt das Holz bereit. Heute komme ich endlich dazu.« Er riss am Rest einer Leitersprosse, bis der rostige Nagel nachgab. »Das gehört zu meinen Aufgaben im Revier. Zum Lohn darf ich hier jagen.«
    »Sie besitzen einen Jagderlaubnisschein?«
    Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu, bevor er das Holzstück achtlos in den Wald schleuderte. »Was wissen Sie über die Jagd?«
    »Was man so mitbekommt, wenn man auf dem Land aufwächst.«
    Das könne wohl nicht viel sein! Er schlug einen dozierenden Ton an, der Norma jede Lust auf eine Unterhaltung verdarb. Sie ärgerte sich, ihn überhaupt angesprochen zu haben. Zumindest durfte sie davon ausgehen, dass er sich an diesem Vormittag nicht verdächtig machen würde. Sollte er sich nur weiter mit den maroden Sprossen abmühen. Weil sie seinen Vortrag ignorierte, wandte er sich um, streifte die Hände am verschwitzten Hemd ab und legte die Motorsäge zurecht. Norma solle beiseite treten, befahl er barsch, damit er die neuen Sprossen zuschneiden könne. Die dünnen Fichtenstangen, die – von der Rinde befreit – gegenüber der Leiter lagerten, waren offenbar als Ersatz gedacht. Er hob den oberen Stamm vom Stapel und lehnte das Ende gegen einen Baumstamm.
    Mit einem knappen Gruß wollte sie sich abwenden, als sie einen kleinen dunklen Gegenstand bemerkte, der zwischen den Stangen gelegen haben musste und auf den Boden gerutscht war. Ein schwarzes Metallstück. Sie beugte sich über das Ding. Etwas Ähnliches hatte sie sich in verschiedenen Onlinekatalogen angesehen.
    Reisinger gab sich fassungslos. »Nicht zu glauben!«
    Norma dachte an die Säge und den Hammer und spürte ein Kribbeln im Rücken. »Sie kennen sich mit Pfeilspitzen aus?«
    »Was ist denn dabei? Die Bogenjagd interessiert mich. Aber solange sie in Deutschland verboten ist, werde ich bestimmt nicht mit dem Bogen jagen. Wenn ich den Kerl erwische, der das hier

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