Kunstgriff
haben sie sich getroffen. Drei Tage vor dem Diebstahl. Dafür habe ich einen Zeugen.«
Undine warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Womöglich bist du dein Geld doch wert. Wer hat das beobachtet?«
»Ralf Reisinger, der Ehemann von Mettens Geliebter.«
»Rico kannte den Ermordeten?« Undine hüstelte nervös. »Willst du damit sagen, der Freund meiner Tochter könnte in einen Mordfall verstrickt sein?«
14
Undine nahm die Wanderung wieder auf, bis sie abrupt Halt machte. In ihrem Blick lag Panik; eine bemerkenswerte Regung der Galeristin, die ihre Gefühle gewöhnlich kühl kalkulierte. Selbst bei den Streitereien mit Lutz verlor sie selten die Beherrschung, und alles Knurren und Zetern schien kalkuliert. Brachte die Sorge um Nina sie so aus der Fassung? Nein, eher bangte sie um den eigenen Ruf. Offensichtlich war ihr soeben klar geworden, dass sie den Bilderdiebstahl nicht länger unter Verschluss halten konnte.
»Ich verstehe, worauf du hinaus willst, Norma. Womöglich haben Nina und Rico den Diebstahl gemeinsam mit Pitt Metten ausgeheckt. Und am Tag darauf liegt Metten im Wald. Tot. Mit einem Pfeil in der Brust. Was für eine Katastrophe, meine Tochter ist Teil eines Komplotts!«
Norma beruhigte sie. »Die Polizei hat einen Verdächtigen im Visier: Ralf Reisinger, den eifersüchtigen Ehemann.«
Die Galeristin atmete auf. »Gott sei Dank! Dann besteht doch kein Zusammenhang.«
»Mir kommt es auf etwas anderes an«, wandte Norma ein. »Falls Pitt Metten wahrhaftig in den Diebstahl involviert ist, hat er womöglich den Jawlensky versteckt. Das könnte bedeuten, dass seine Kumpane keine Ahnung haben, wo er das Bild gelassen hat, und sich deswegen nicht melden. Wer weiß, wann und wie es gefunden wird? Willst du es auf einen Zufall ankommen lassen? Abgesehen davon zählt bei Mord jedes Detail. Wir haben keine Wahl.«
Undine strich sich resignierend über die Stirn. »Also gut. Wenn du das übernehmen könntest?«
Norma beugte sich über den Schreibtisch und tastete nach dem Handy, das irgendwo unter den Papieren liegen musste.
Undine schaute mit Unbehagen zu. »Wenn der Kunstraub bloß nicht an die große Glocke gehängt wird!«
»Versprechen kann ich dir nichts«, warnte Norma und zog das Telefon schließlich unter dem Stapel der Jawlensky-Biografien und anderer Bücher über den Maler hervor, in denen sie in jeder freien Minute las. Mit wachsendem Interesse an dem Künstler und längst nicht mehr nur, um Hintergründe zu recherchieren, die für ihre Ermittlungen vielleicht hilfreich sein könnten. Sie rief Wolferts Mobilnummer auf. Im Hintergrund erklang Gemurmel, als er sich nach langem Klingeln meldete.
»Norma, ich stecke mitten in einer Teambesprechung«, flüsterte er. »Wir haben Reisinger festgenommen.«
»Hat er gestanden?«
»Bisher streitet er alles ab. Unsere Beweislage ist mehr als dünn. Wenn außerdem das Alibi bestätigt wird, müssen wir ihn laufen lassen.«
»Ihr habt bisher nicht mit der Verwandtschaft sprechen können?«
»Das Ehepaar ist nicht vernehmungsfähig. Ein, zwei Tage kann es noch dauern, schätzt der Arzt.«
»Was ist mit der Pfeilspitze?«, fragte sie gespannt. »Gibt es Fingerabdrücke?«
»Leider nicht von Reisinger. Wir können sie nicht zuordnen. Dafür haben wir weitere Spuren darauf gefunden.«
»Lass mich raten! Blut?«
»Tierblut. Von einem Reh. Ich muss weiter, Norma.«
»Moment, Dirk! Ich habe noch etwas für euch. Aber nicht am Telefon.«
»Du wirst mir langsam unheimlich!«, raunte er. »Warte mal!«
Der Lärmpegel stieg an. Deutlich konnte sie Milanos Bass heraushören, ohne die Worte zu verstehen.
Dann wieder Wolfert: »Wo bist du?«
»In der Galerie Abendstern.« Sie nannte die Straße im Dichterviertel und hatte dabei das Bild vor Augen, wie Wolfert die Adresse mit gespitztem Bleistift in sein unvermeidliches Notizbuch kritzelte.
»In einer Stunde? Ich bringe Luigi mit.«
»Bis dann!« Norma warf einen Blick auf die Uhr. »Zwei Kriminalbeamte werden gegen 12 Uhr hier sein. Wolfert und Milano, meine Kollegen von früher.«
Undine überlegte. »Am liebsten würde ich Lutz dazubitten. Wenn es kritisch wird, tut mir seine Gegenwart unendlich gut. Sag mal, was hat es mit der Pfeilspitze auf sich?«
»Polizeiinterna«, antwortete Norma ausweichend.
Undine fragte nicht nach. Sie beschäftigte sich bereits mit den Angeboten, die auf die fingierte Anfrage eingegangen waren. Ein Blatt hielt sie staunend in die Höhe. »Hast du das gesehen? Hier
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