Kupferglanz
gebracht. Mami war echt verliebt.»
«Also alles in Ordnung?»
«Außer mir.» Aniliina drehte die Kaffeetasse zwischen den Handflächen wie ein frierender Ausflügler an einem kalten Wintertag. «Mich hat sie bloß angebrüllt.
Erst wollte sie mich unbedingt aus dem Krankenhaus, aus diesem Knast, rausholen, und dann drohte sie mir die ganze Zeit, ich müsste wieder zurück.
Aber da geh ich nicht mehr hin, nie wieder! » Aniliinas dunkle Augen glühten.
«Bist du jetzt ganz allein hier, oder kommt Kaisa nachher zu dir?»
«Kaisa fliegt heut Abend nach Helsinki. Da fängt morgen der Weltcup an. Vater kommt vielleicht, wenn sie ihre Plattenaufnahme heute fertig kriegen. Aber ich komm auch ganz gut allein zurecht», sagte Aniliina in ruhigerem Ton. «Auf jeden Fall besser als mit Oma und dem versoffenen Jaska. Oma weint andauernd und jammert und sagt alle naselang, sie hätte immer schon gewusst, dass es mit Merja-Riitta kein gutes Ende nimmt. Da hat sie allerdings recht.»
«Wieso?», fragte ich schärfer als gewollt.
«Oma meint, wegen den Kerlen und Mutters Bildern. Ich meine, weil sie fast alle geärgert hat. Es wundert mich, dass sie nicht schon viel früher jemand umgebracht hat, sie war so beschissen, so gemein! » Aniliina liefen Tränen über die Wangen, aber sie tat, als merkte sie es nicht. Allmählich begann sie sich hin und her zu wiegen und schrumpfte zusammen wie ein Schneemann im Regen. Die leere Kaffeetasse fiel zu Boden. Ich kramte ein Taschentuch hervor, und da Aniliina nicht reagierte, wischte ich ihr selbst die Tränen ab. Zu meiner Überraschung ließ sie mich gewähren, ließ sich sogar über den Kopf streichen.
«Sie war doch trotz allem meine Mami», stammelte sie schließlich. Als ob sie sich für ihren Tränenausbruch schämte, fügte sie hinzu: «Wolltest du sonst noch was?
Ich muss jetzt joggen.»
«Weißt du, wo ich Kaisa finden kann, bevor sie nach Helsinki fliegt?»
«Sie ist bis um drei auf dem Sportplatz und trainiert.»
Es fiel mir schwer, Aniliina allein zu lassen. Hoffentlich würde ihr Cellistenvater heute Abend schon bei ihr sein.
«Wenn dir etwas einfällt, was wichtig sein könnte, ruf mich an, egal um welche Uhrzeit. Und auch sonst … » Ich wollte mich Aniliina nicht aufdrängen, aber sie sollte wissen, dass ich für sie da war. Ich gab Aniliina sowohl meine private als auch meine dienstliche Telefonnummer und nahm mir vor, gleich nach seiner Ankunft mit Märten Flöjt über das Auswechseln des Schlosses zu sprechen.
Zum Sportplatz war es nur ein halber Kilometer. Ich verknüpfte den Platz in Gedanken mit Gebrüll und Schweiß, mit dem Schmerz nach einem Foul und dem Freudenrausch nach einem Tor der eigenen Mannschaft. Es war seltsam, ihn still daliegen zu sehen. Nur auf der Aschenbahn drehten ein paar ältere Männer ihre Runden. Dann tauchte eine hochgewachsene einsame Gestalt auf dem Rasen auf.
Sie wählte unter den Speeren im Gestell einen aus, wog ihn in der Hand, sah wohl nach den Schrittzeichen und ging dann langsam auf die andere Seite der Aschenbahn, um Anlauf zu nehmen. Zuerst ein paar langsame, fast tastende Schritte, dann ein explosionsartiger Spurt, der den Wurfarm nach hinten zog. Sie stoppte genau vor der weißen Linie und schleuderte den Speer in die Luft. Er flog in gleichmäßigem, starkem Bogen und landete erst nach langer, langer Zeit mehrere Meter jenseits der breitesten weißen Linie auf dem Sportplatz. War das die Fünfundfünfzigmetermarke? Oder sechzig? In dem Fall hatte Kaisa einen tollen Trainingswurf hingelegt.
Als ich den Trainer von seinem Beobachtungsposten zu Kaisa hinlaufen sah, war ich sicher, dass es sich um die Sechzigmetermarke handelte. Beide machten einen zufriedenen Eindruck. Kaisa lief eine Runde auf dem Rasen, lockerte die Schultern, wartete, bis die Läufer vorbeigezogen waren, und nahm wieder Anlauf. Auch diesmal flog der Speer über die dicke weiße Linie, nicht ganz so weit wie eben, aber deutlich genug.
Die Sportreporter im Fernsehen lobten Kaisas saubere Wurftechnik. Ich kenne mich mit den Feinheiten des Speerwurfs nicht aus, aber auch ich könnte erkennen, dass ihr Anlauf Biss hatte, der Wurfarm in optimaler Haltung blieb und der Speer vom ganzen Körper, nicht nur von der Schulter und dem Arm geschleudert wurde.
Der dritte Wurf landete knapp vor der Markierung und wurde von Kaisa mit einem Kopfschütteln quittiert. Ich ging näher zu ihr und dem Trainer hin. Noch aus zwanzig Meter Entfernung wäre es mir
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