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Kupferglanz

Titel: Kupferglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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schwergefallen, das Geschlecht des Werfers zu erkennen, wenn ich es nicht gewusst hätte. Der schlanke, breitschultrige und schmalhüftige, sportliche Körper hätte ebenso gut einem jungen Mann wie einer Frau gehören können. Erst aus der Nähe waren die festen Brüste unter dem Sporthemd zu erkennen, die glatte Haut im Gesicht und das zierliche Kinn. Kaisa gehörte nicht zu den Sportlerinnen, die sich bemüßigt fühlen, sich zu schminken oder aufreizende Sportkleidung zu tragen. Auch mit wirrem Haar und in einfacher Trainingshose sprühte sie vor unbewusstem Charme. Als sie ihre erste finnische Meisterschaft gewann, war sie noch ein Teenager gewesen, ein seine Körperlänge hassendes, gebückt gehendes Mädchen, das sich erst beim Anlauf zu voller Größe aufzurichten schien. Jetzt ging sie mit erhobenem Kopf und gestrecktem Rücken, obwohl sie nach wie vor die Fernsehkameras und den Rummel um ihre Person hasste. Ich wusste nicht, ob es ein Majestätsverbrechen war, Kaisa mitten im Training zu stören. Antikainen hatte sie schon am Samstag vernommen; Kaisa war eine der Letzten gewesen, die mit Meritta gesprochen hatten. Die Befragung hatte nichts Außergewöhnliches ergeben, aber trotzdem war da etwas, was mir nicht aus dem Kopf ging. Kaisas durchdringender Blick, als sie am Freitagabend gefragt hatte, ob Johnny und Meritta ein Verhältnis hätten. Und Johnny hatte sie angelogen.
    Auch über Aniliina wollte ich mit Kaisa sprechen. Offenbar war sie sowohl mit der Mutter als auch mit der Tochter gut befreundet.
    Anscheinend war jetzt eine Trainingspause. Der Trainer verzog sich in die Kabine, Kaisa ließ sich auf das Sprungkissen an der Hochsprunganlage fallen und schlürfte einen Mineraldrink aus einer grünen Plastikflasche.
    «Grüß dich! Hast du einen Moment Zeit?»
    «Ich hab Pause», antwortete Kaisa verlegen, aber nicht abweisend.
    «Das waren ganz schön beeindruckende Würfe: Wie weit ist es bis zu der dicken weißen Linie?»
    «Zweiundsechzig. Die Qualifikationsgrenze bei der Vorausscheidung in Helsinki.»
    «Dann hast du das eine Mal ja mindestens siebzig Meter geworfen! »
    «Morgen beim Weltcup muss ich internationalen Saisonrekord werfen.» Kaisa sprach im gleichen Ton, in dem jemand anders sagen würde, ich muss morgen einkaufen.
    «Hoffentlich zeigen sie es im Fernsehen. Ich komm gerade von den Flöjts, Aniliina meinte, ich würde dich hier finden. Meritta hat viele beeindruckende Bilder von dir gemalt. Hast du ihr lange Modell gestanden?»
    «Wir haben irgendwann im Winter angefangen. Ich hab eigentlich nicht posiert, sie ist zum Malen auf den Sportplatz gekommen, sogar bei Schneeregen.»
    Dass sie selbst bei Schneeregen trainierte, schien Kaisa für völlig normal zu halten.
    «Habt ihr euch angefreundet?»
    «Ja.» Kaisa stiegen Tränen in die Augen, sie wischte sie mit dem Handrücken weg und setzte hinzu: «Ich hab noch nie einen Menschen getroffen, der mich so gut verstanden hat. Sie hat das Speerwerfen begriffen und alles andere …
    Warum musste sie da runterfallen? Ich hasse den Turm! Abreißen müsste man ihn! » Kaisa schlug mit der flachen Hand auf das Sprungkissen. «Aber es hilft wohl nichts, ich muss weitermachen. Das hätte Meritta so gewollt.»
    «War Meritta deiner Meinung nach am Freitagabend so wie immer?»
    «Nein. Sie war über irgendwas wütend. Als ich nach Hause ging, hat sie gesagt, hoffentlich wäre sie am nächsten Tag besser gelaunt. Sie wollte am Samstag herkommen und mich malen.»
    Den Grund für Merittas Wut kannte Kaisa nicht. Wir hatten gerade angefangen, von Aniliina zu sprechen, als der Trainer zurückkam und mir einen Blick zuwarf, der mir riet, mich zu verdrücken. Ich machte mich auf den Weg in die Rathauskantine und hoffte, noch etwas Essbares zu finden.
    Den Rest des Tages verbrachte ich mit Papierkram. Zum Glück lag in Kuusikangas ein Brief von Antti im Briefkasten. Er war ein phantastischer Briefschreiber. Manchmal dachte ich, dass ich mich nur wegen eines Briefes in ihn verliebt hatte, den ich bei den Ermittlungen in meinem ersten Mordfall lesen musste. In seinen Briefen war Antti gleichzeitig offener und gefühlvoller als im wirklichen Leben. Und er schrieb wundervoll lange Briefe, oft eine Seite am Morgen, die nächste tagsüber, ein paar am Abend und die gleiche Menge am nächsten Tag nochmal.
    Ich las den Brief und kicherte über Anttis Schilderung des Basars einer Episkopalgemeinde, zu dem ein Kollege von der Uni ihn mitgeschleppt hatte.
    Der

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