Kupferglanz
schmale Bank an, die in die Wand gehauen war. «Meritta wollte da sitzen. Im Dunkeln.»
«Merkwürdige Gelüste», sagte ich mit Nachdruck.
«Fürchtest du dich im Dunkeln?» Kivinens Stimme klang herausfordernd, im schwachen Licht der Taschenlampe funkelten seine Augen belustigt.
«Natürlich nicht», sagte ich und machte meine Lampe aus. Kivinen lachte und knipste seine auch aus.
Ich war daran gewöhnt, dass ich nach einer Weile auch im Dunkeln sehen konnte: Selbst in einer schneelosen, mondlosen Novembernacht im tiefen Wald lassen sich allmählich Licht und Schatten, die Formen der Felsen und die Bewegungen der Zweige unterscheiden. Aber hier ‐ nichts. Nur das Gewicht der Felsen über uns, das ferne Geräusch des tropfenden Wassers, Kivinens Atemzüge ein paar Meter weiter. Dann ein seltsames, furchterregendes Zischen und eine irrsinnig helle Flamme, ein Streichholzkopf, der eine Kerze entzündete.
«Die hat Meritta mal mitgebracht.» Kivinen hielt einen Kerzenstumpf in einem altmodischen Kupferständer hoch. «Wir nehmen sie am besten mit.»
Wir marschierten im Kerzenschein durch den Gang zurück, still wie ein Trauerzug. Im nächsten Augenblick ärgerte ich mich über Kivinens dramatische Inszenierung und knipste meine Lampe an. Ihr Lichtstrahl wirkte sehr hell, er hob die grauen und braunen Farben des Felsens, das Glit zern des Wassers an den Wänden, die gelben Sandkörner auf dem Boden deutlich hervor. Ganz hinten am Ende des Gangs schimmerte der Aufzug wie ein fröhlicher Leuchtturm.
«Wann warst du das letzte Mal mit Meritta zusammen? », fragte ich, als die Kerze ausgeblasen war und der Aufzug sich knirschend in Bewegung setzte.
«Ich hab doch schon oft genug erklärt, dass unsere Beziehung vor vielen Monaten zu Ende gegangen ist!», stöhnte Kivinen gequält. «Wir haben uns in aller Freundschaft getrennt. Ich wollte meine Familie nicht verlieren, und Meritta hatte schon einen Neuen im Visier, Jarmo Miettinen. Mag sein, dass ich ein bisschen eifersüchtig war, als sie mich so einfach aufgab und sich den Miettinen nahm.»
Kivinen lächelte, als machte er sich über sich selbst lustig. Welche Frau hätte nicht genauso gewählt wie Meritta ? Vielleicht eine, die Geld und Macht über alles andere setzte. Aber so eine war Meritta wohl nicht gewesen. In seiner Art sah Kivinen ganz gut aus, das mittelbraune Haar hatte einen persönlichen, jugendlichen Schnitt, der Körper hatte Durchschnittsmaß, war aber ganz offensichtlich gut getrimmt, das Lächeln reichte bis in die toffeebraunen Augen.
Aber verglichen mit Johnny war Kivinen nur Mittelmaß, und ich war jetzt nicht mal voreingenommen.
Obwohl der diesige Himmel bis fast zum Turm herabhing, wirkte die Luft draußen nach dem Aufenthalt im Schacht trocken und frisch. Ich sog die Lungen voll, betrachtete das strotzende Grün der Birken, horchte auf die Geräusche, die aus der Stadt heraufdrangen. Kivinen lächelte.
«Es ist immer das gleiche Gefühl, wenn man nach oben kommt. Das hat mein Vater auch immer gesagt. Jeden Tag das gleiche befreiende Gefühl. Gehen wir ins Restaurant, hoffentlich hast du Appetit.»
Er führte mich in ein Kabinett, wo wir von einer blaugekleideten Frau erwartet wurden, die mir vage bekannt vorkam.
«Meine Frau wollte dich auch gern kennenlernen», machte Kivinen uns bekannt.
Die Frau reichte mir die Hand und sagte: «Barbro.» Offenbar hatte auch sie die Duzregel von Arpikylä schon gelernt.
Ich hatte gehört, dass Barbro Kivinen aus einer alten schwedischsprachigen Industriellenfamilie stammte. Die Sicherheit und Eleganz ihres Benehmens führte dazu, dass ich mir unbeholfen vorkam und mich vergewisserte, dass ich auch bestimmt die richtige Gabel für den Krabbensalat nahm, der als Vorspeise serviert wurde. Barbro fragte nach meiner Arbeit und meiner Ausbildung und erzählte, sie habe an der schwedischsprachigen Handelshochschule studiert und kümmere sich jetzt als Aufsichtsratsvorsitzende um ein paar andere Familienunternehmen. Auch die beiden Söhne der Familie studierten, der eine an der Handelshochschule, der andere die gleiche Fachrichtung in den USA. Als das Kalbsschnitzel aufgetragen wurde, erzählte ich gerade von Anttis Studien in Chicago. Den angebotenen Wein lehnte ich ab, auch die Kivinens nahmen keinen. Nach dem Hauptgericht entschuldigte sich Kivinen, er müsse zu seinem nächsten Termin, und ließ mich mit seiner Frau beim Cappuccino zurück.
«Cappuccino in Arpikylä, unglaublich», lächelte ich
Weitere Kostenlose Bücher