Kupferglanz
Barbro Kivinen zu. «Vor fünfzehn Jahren gab es hier nicht mal Süßstoff in den Kaffee. Wie hast du dich denn hier eingelebt?»
«Na ja, es ist schon fremdartig hier, nachdem ich mein ganzes Leben lang in Helsinki gewohnt habe. Ich fliege fast jede Woche einmal hin, unser Sohn Mikael wohnt jetzt in unserer Wohnung, bei ihm kann ich übernachten. Vor allem im letzten Winter habe ich das Theater und die Oper sehr vermisst, und die gemütlichen Restaurants auch.» «Stockmann etwa nicht?»
Barbro Kivinen lachte, sie wusste, was ich meinte. Das traditionsreiche Kaufhaus Stockmann in Helsinki war in ganz Finnland ein Begriff: Arpikylä wiederum hatte seit dem letzten Winter einen neuen, superbilligen Verbrauchermarkt, der sich Tokmanni nannte. Damit war eigentlich schon alles über den Unterschied zwischen Helsinki und Arpikylä gesagt.
Der Schaum auf dem Cappuccino hinterließ einen Bart auf meiner Oberlippe, ich versuchte verstohlen, ihn abzulecken, und überlegte leicht verbittert, wieso Barbro Kivinen so etwas nicht passierte.
«Dramatische Ereignisse gibt es hier ja zur Genüge, wie in der Großstadt, obwohl es ja nun nicht gerade ein Mord sein müsste», führ Frau Kivinen fort. «Wie gehen denn die Ermittlungen voran ? »
«Schritt für Schritt. Wir wissen übrigens immer noch nicht, ob es Unfall oder Mord war.»
«Ich bin der Künstlerin ein paar Mal begegnet, sie hat ja auch hier auf dem Bergwerksgelände gemalt. Eine echte Persönlichkeit, und sehr zielstrebig.» Sie lächelte, aber ihre Lippen waren schmal, und ich überlegte, ob es Kivinen wirklich gelungen war, sein Verhältnis vor ihr geheim zu halten. Ich war davon überzeugt, dass auch Barbro Kivinen eine sehr zielstrebige Frau war. Aber hätte sie einen Mord begangen, um ihren Mann nicht zu verlieren?
An der Kartenbude war kein Jaska zu sehen. Ich blieb stehen und betrachtete die Souvenirs, aus Kupfer geschmiedete Miniaturmodelle des Turms und kleine Kupferherzen. Wo hatte ich so ein Kupferherz schon mal gesehen ?
Aus einem plötzlichen Impuls heraus nahm ich einen der pfenniggroßen Ohrringe in die Hand. Er hatte eine warme Farbe, fast die gleiche wie meine Haare.
«Kupfer ist das Metall der Liebe», sagte die junge Verkäuferin. «Die Haken sind allerdings aus Gold, damit sie keine Allergie auslösen. Echte Handarbeit aus Arpikylä.»
Ich kaufte ein Paar Ohrringe und beschloss, einen davon Antti zu schicken. Ein Kupferherz war immerhin besser als eins aus Schokolade.
Als ich mich nach der Arbeit auf den Weg nach Joensuu machte, fing es an zu regnen. Tropfen fielen auf die Windschutzscheibe des Lada, die Scheibenwischer funktionierten wenigstens noch einigermaßen, aber das Rückfenster war schon in Viinijärvi beschlagen. Ich probierte verschiedene Heizsysteme aus und kurbelte das Seitenfenster herunter, und schon auf der Höhe von Ylämylly hatte ich wieder halbwegs freie Sicht nach hinten.
Ich hasste die Uniklinik in Joensuu, solange ich denken konnte. Der Turm von Arpikylä war geheimnisvoll und erinnerte an eine Burg, aber dieses Gebäude war einfach nur kalt und steril. Mit vierzehn war ich hier an den Mandeln ope-riert worden, und die Wunde wollte nicht verheilen. Ich hatte zwei Wochen im achten Stock der Klinik gelegen, bevor es den Ärzten endlich gelungen war, meinen Hals zuzuflicken. Immer noch erschrak ich, wenn ich Blut im Mund schmeckte, ich bildete mir jedes Mal ein, die alten Narben wären geplatzt und ich würde wieder an Schläuche gehängt.
Pena lag mit geschlossenen Augen in seinem Zimmer und sah ganz anders aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Mein Vater saß an seinem Bett und wartete auf mich, Mutter war schon bei Eeva und Saku. Penas Zimmer war mit verschiedenen Geräten vollgestellt, von denen eins die Herzfrequenz maß. Die Kurve war hübsch regelmäßig. Ein Sauerstoffgerät pumpte Luft in Penas Lungen, durch einen Schlauch am Arm floss Nährlösung. Unter der Decke war garantiert auch ein Katheter. Auf der gelähmten Seite war der Mund seltsam verzerrt.
Ich sah Pena an und verspürte auf einmal ein unbändiges Verlangen, alle Schläuche abzureißen, seinem Dahinsiechen ein für alle Mal ein Ende zu machen.
Wer weiß, vielleicht wünschte er sich das? Aber ich hatte den lebhaften Blick in seinem nicht gelähmten Auge gesehen, wenn er bei Bewusstsein war, ich hatte gesehen, wie seine gesunde Hand eine Streichelbewegung machte, wenn ich ihm von seiner Katze erzählte.
«Eben war Pena ein paar Minuten ganz
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