Kurbjuweit, Dirk
sprach
wie einer aus Leipzig.»
«Jetzt
fehlt er in Leipzig.»
«Ich habe
gehört, wie er über ein Buch gesprochen hat.»
«Ein
Leser.»
«einem anderen Land>», glaube ich.
«So heißt
das Buch?»
«Ich
glaube.»
«Von wem?»
«Von
Hemingway.»
«Hemingway,
natürlich.»
«Er fand
es gut und hat es einem aus Seedorf empfohlen.»
«Der mit
dem Motorrad war aus dem Sauerland.»
«Woher
weißt du das?»
«Er hat
gesagt, dass er lieber ein kleines Nummernschild an seinem Motorrad hätte, das
sehe besser aus, aber er komme aus dem Hochsauerlandkreis, und da brauchten sie
große Nummernschilder wegen der vielen Buchstaben.»
«HSL?»
«HSK hat
er gesagt, glaube ich.»
«Und jetzt
ist er tot.»
«Er hat
überlegt, ob er sich eine Wohnung in Köln nehmen soll.»
«K, klar.»
«Hast du
ihn gesehen, Esther?»
«Natürlich
habe ich ihn gesehen. Wir waren den halben Tag zusammen unterwegs.»
«Ich meine
tot. Hast du ihn tot gesehen?»
«Nein.»
«Ich fände
es schön, wenn sie ihm das Nummernschild ins Grab legen würden», sagte Maxi.
«Aber er mochte es nicht.»
«Stimmt.»
Eine Weile
war es still im Zimmer. «Ich weiß, dass du mit dem aus Leipzig geschlafen
hast», sagte Maxi. «Du weißt das?»
«Ja.»
«Woher?»
«Jeder
weiß das.»
«Ich
nicht, ich weiß es nicht», sagte Esther. «Es stimmt aber», sagte Ina, «ich habe
mit dem aus Leipzig geschlafen.»
«Es ist
nicht lange her, oder?»
«Es war
vorgestern.»
«Du spürst
ihn noch?»
«Nein.»
«Vielleicht
ist in dir Sperma, das noch lebt.»
«Ich weiß
nicht, wie lange Sperma lebt.»
«Wir
könnten es googeln.»
«Ich will
es nicht wissen.»
«Stell dir
vor, er ist tot, aber sein Sperma lebt noch.»
«Ich mag
mir das nicht vorstellen.»
«Sein
Sperma lebt länger als er selbst und vereint sich gerade jetzt mit einem Ei,
dann hätte doch ein Toter eine Frau geschwängert.»
«Ich kann
nicht schwanger werden.»
«Aber
theoretisch.»
«Hör jetzt
auf.»
Esther war
eifersüchtig. Sie fragte sich, warum es interessanter ist, darüber zu reden,
was es heißt, mit einem Mann geschlafen zu haben, der kurz darauf sein Leben
verloren hat, als darüber zu reden, was es heißt, wenn man gerade aus einem
Gefecht kommt, bei dem man hätte sterben können und vielleicht getötet hat.
Andererseits hatte sie zu erkennen gegeben, dass sie an diesem Gespräch nicht
interessiert war. Die beiden hätten sich eben mehr bemühen sollen, dachte sie.
«Er war
lieb», sagte Ina.
«Der aus
Leipzig?»
«Marc. Er
hieß Marc. Er hat mir von dem Buch erzählt, das im Ersten Weltkrieg spielt, in
Italien.»
«Das von
Hemingway?»
«Ein
amerikanischer Soldat liebt eine Krankenschwester, und dann wird sie schwanger
und stirbt bei der Geburt, und das Kind stirbt auch, und dann kommt der Arzt
zu dem Soldaten und sagt: Und das hat ihn
umgehauen, hat er gesagt, dass der Arzt das so sagt: «Man kann nichts sagen»,
und mehr nicht. Weil es stimmt, hat er gesagt, dass manchmal alles damit
gesagt ist, wenn man sagt: «Man kann nichts sagen.» Manchmal ist etwas so
schlimm, dass es keine Worte dafür gibt, zum Beispiel, seine Frau und sein
Kind zu verlieren. Solche Gedanken hat sich Marc gemacht, und als wir
auseinandergehen mussten, war er wirklich traurig, und was habe ich da gesagt?
Was meint ihr?»
«Man kann
nichts sagen», sagten Esther und Maxi gleichzeitig.
«Vielleicht
hätte ich das besser nicht gesagt.»
«Er ist
nicht gefallen, weil du das gesagt hast.»
«Ist er
gefallen oder gestorben?»
«Er ist
tot.»
«Er mochte
Fatima.»
«Du warst
hier mit ihm?»
«Ja. Ich
glaube, Fatima mochte ihn auch.»
Stille.
Draußen heulte ein Hund. Nach einer Weile sagte Maxi: «Gute Nacht,
Oberstabsärztin Ina, gute Nacht, Leutnant Esther. Ich bin froh, dass du lebst.»
«Gute
Nacht, Hauptfeldwebel Maxi, gute Nacht, Leutnant Esther. Ich bin auch froh,
dass du lebst.»
«Gute
Nacht, Oberstabsärztin Ina, gute Nacht, Hauptfeldwebel Maxi.»
Esther lag
lange wach. Sie grübelte darüber nach, welche Kugel ihr am nächsten gekommen
war. Es gab eine, die einen halben Meter neben ihrer Hüfte eingeschlagen war,
eine andere hatte ihren Kopf um einen Meter verfehlt. Sie konnte nicht
entscheiden, welche ihr Leben mehr bedroht hatte. Das Geschoss, das neben der
Hüfte gelandet war, war näher dran, keine Frage, aber ein Treffer am Kopf wäre
höchstwahrscheinlich tödlich gewesen, anders als ein Treffer an der Hüfte.
Allerdings hätte das
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