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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Geschoss durch die Hüfte in den Oberschenkel dringen und
die Hauptschlagader zerstören können, auch eine Todesart. Diese Gedanken
verfolgten sie, traumhaft zugespitzt, bis in den Schlaf, und sie schrak
manchmal hoch, weil sie eine der Kugeln auf sich zufliegen sah.
     
    Am
nächsten Morgen wurde sie von einem Hubschrauber aus dem Schlaf gerissen. Ina
und Maxi waren nicht mehr da. Es war halb acht, sie hatte vergessen, ihren Wecker
zu stellen, und niemand hatte sie geweckt. Panik, sie schoss hoch, verharrte
aber auf dem Bett und ließ sich wieder zurückfallen, weil ihr klar wurde, dass
wahrscheinlich niemand von ihr erwartete, dass sie heute irgendeinen Dienst
tat. Sie hatte gekämpft gestern.
    Andererseits
hatte sie nun verpasst, so zu tun, als sei alles ganz normal. War es ja auch
nicht. Sie blieb liegen und dachte an die Frau und ihre beiden Kinder. Was
hatten sie in dem Gehöft verloren? Die Taliban wussten doch, wann die
Deutschen kommen würden, sie hätten sie wegschicken können, die Frau hätte
sich mit ihren Kindern in Sicherheit bringen können. Warum war sie geblieben?
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Taliban die Frau und die Kinder dazu
gezwungen hatten. Also war sie freiwillig da. Anders konnte es nicht sein. Aber
Esther war nur für einen Moment beruhigt, dann wurde ihr wieder klar, dass sie
absolut nicht wusste, was bei diesen Menschen sein konnte und was nicht. Und ob
die Frau nun freiwillig auf dem Hof war oder nicht - hätte nicht sie, Esther,
dafür sorgen müssen, dass ihr und den Kindern nichts geschieht? Also doch eine
andere Behandlung für Frauen? Für Kinder jedenfalls. Sie stand auf, um ihren
Grübeleien zu entkommen, duschte kurz und zog ihre zweite Uniformgarnitur an.
Die erste war dreckig und am Ärmel blutverschmiert.
    Sie ging
zum Frühstück und sah an den Blicken, dass sich schon herumgesprochen hatte,
was ihr gestern widerfahren war. Sie überlegte, was sie heute tun sollte, und
hatte gerade entschieden, dass sie ihren normalen Dienst antreten würde, als
sich der Lagergeistliche zu ihr setzte. Ob sie sich ein kleines Gespräch mit
ihm vorstellen könne, fragte er. Man konnte nur ja sagen, das war klar, also
sagte sie ja, aber sie müsse erst zu ihrer Einheit, weil sie im Dienst sei,
wenn auch etwas verspätet. Sie lächelte verlegen. Deshalb solle sie sich keine
Sorgen machen, sagte der Pfarrer, es sei alles geklärt, sie müsse heute nicht
zum Dienst erscheinen. Es hatte also schon Gespräche über sie gegeben,
Abmachungen, die getroffen worden waren, ohne sie zu beteiligen, gütige
Abmachungen, rücksichtsvolle Gespräche, damit war sie in den Status der
Patientin versetzt, und das ärgerte sie.
    Es wurde
ein seltsamer Austausch, denn die Dinge, die sie gerne gefragt hätte, konnte sie
nicht fragen, weil der Pfarrer nicht eingeweiht war, das merkte sie bald. Er
wollte zwar mit ihr über Schuld reden, aber da ging es allgemein um die Schuld,
die man empfinden könnte, wenn man auf Menschen geschossen hat. Sie brauchte
kein allgemeines Gespräch, sondern ein konkretes. Sie wollte mit Mehsud reden,
nicht nur weil sie ihn spüren wollte, sondern weil er etwas von Schuld
verstand, von konkreter Schuld, anders als dieser Pfarrer, der groß, schlank
und durchtrainiert war wie ein Soldat und Schuldgefühle im Reich seines
Glaubens verschwinden lassen wollte. Sie aber wollte sich anklagen, so wie
Mehsud es getan hatte, alles sagen, was gegen sie sprach, um einen Trost darin
zu finden, dass selbst nach dieser Ballung von Argumenten, die gegen sie sprachen,
einiges für sie sprach. Dass sie allein gegen eine Horde Taliban gekämpft
hatte. Dass sie davon ausgehen durfte, dass die Frau und die Kinder vom Hof
weggebracht worden waren. Dass sie Verantwortung für den verwundeten Tauber
getragen hatte. Dass eben Krieg war. Dass dies Afghanistan war, wo nicht
Unschuld verteilt wurde, nur Schuld. Für einen Moment fand sie Trost darin,
dass sie nun wie Mehsud etwas mit sich herumtragen musste, das schwer
auszuhalten war, und war nicht auch das, in all seiner Tragik, eine Grundlage
für eine Liebe, für ein Leben? Aber der Gedanke kam ihr schnell komisch vor,
seltsam, krank womöglich, dass sie ihn lieber wegschob. So hatte dieses
Gespräch, das bald in einem leeren Speisesaal stattfand, zwei Ebenen. Der
Pfarrer sprach davon, wie eine Schuld zu bewältigen ist, die weit hinter der ihren
zurückblieb, während sie über ihre wahre Schuld nachdachte. Nicht sein Fehler.
Er war klug,

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