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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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sie
erlebt hatte.
    «Heiß
heute», sagte der Schaffner.
    «Nichts
gegen Afghanistan», sagte sie.
    «Was
meinen Sie damit?»
    «Nichts»,
sagte sie, hielt ihr Gesicht in die Sonne und schloss die Augen.
    Am Bahnhof
Wannsee stieg sie aus und nahm die Si in die Innenstadt. Sie schaute lange auf
die Streckennetzkarte und überlegte, wo sie aussteigen sollte. Sie konnte
Touristin sein oder Einheimische und entschied sich, Touristin zu sein, für den
Anfang. Am Potsdamer Platz stieg sie aus. In den Arkaden schaute sie nach
Kleidung, verlor aber bald die Lust. Viele Menschen, und Fußball, überall
Plakate, Fahnen. An der Ampel fiel ihr auf, dass es neuerdings Klopfzeichen für
Blinde gab. Sie lief durch den Tiergarten, und als sie Liebespaare im Gras
sitzen sah, wurde sie traurig. Sie ging durch das Brandenburger Tor, machte
zwanzig Schritte, bevor sie sich umdrehte. Im Kopf erklärte sie Mehsud, warum
das Tor da war und welche Bedeutung es für Deutschland hat. Eine Stretchlimousine
hielt neben ihr, ein langgezogener Hummer, weiß, schwarze Scheiben. Eine Schar
Halbwüchsiger sprang heraus, die Jungs trugen dunkle Anzüge und weiße Hemden
ohne Krawatte, die Mädchen kurze Kleider und hohe Schuhe. Sie hielten
Sektgläser in der Hand, ein Mann, der in der Kleidung eines Butlers steckte,
stieg aus und schenkte nach. Sie tranken. Einige Mädchen tanzten zu einer
Musik, die es nicht gab, andere sprangen in die Luft und machten Verrenkungen.
Dabei ließen sie sich fotografieren. Als die Hupe ertönte, beeilten sich alle,
wieder in den Hummer zu kommen. Er fuhr in einem langen Bogen über den Platz
davon. Esther fiel ein, dass sie gerne ein blaues Kleid hätte.
    Im
Kaufhaus Lafayette sah sie sich mehrere Kleider an, aber es war nie das
richtige Blau, zu dunkel, zu hell. Sie ging in einen Laden, der teuer aussah,
und fragte nach einem blauen Kleid. Was für ein Blau ihr vorschwebe, fragte die
Verkäuferin.
    «Das Blau
einer Burka», sagte sie.
    Die
Verkäuferin lachte, aber es war ein irritiertes, hilfloses Lachen, das Lachen,
das einem schlechten Scherz folgt. Esther lachte nun auch und tat so, als sei
es ein Scherz gewesen und entschuldigte sich mit einem Lächeln dafür, dass er
so schlecht war, so unkorrekt. Aber die Verkäuferin hatte da schon wieder auf
professionelle Hilfsbereitschaft umgeschaltet und sagte, sie wisse nicht genau,
wie das Blau einer Burka aussehe. Sie holte eine «Vogue» und bat Esther, sich
auf ein weißes Sofa zu setzen. «Ich mache uns einen Cappuccino», sagte sie.
Esther wollte lieber gehen, aber die Freundlichkeit der Verkäuferin hatte
etwas so Nachdrückliches, dass sie es nicht schaffte. Sie setzte sich. Sie
hörte das Mahlen einer Kaffeemühle, das Röcheln einer Espressomaschine und das
Fauchen des Milchaufschäumers, fast vergessene Geräusche. Die «Vogue» lag
neben ihr auf dem Sofa, aber sie rührte sie nicht an. Die Verkäuferin kam mit
dem Cappuccino und setzte sich ebenfalls. Sie war eine zierliche Frau, dünne
Beine, keine Hüften. Eine dieser Frauen, neben denen sich Esther klobig
vorkam.
    Die
Verkäuferin legte die «Vogue» auf ihren Schoß und blätterte sie langsam durch.
Dabei erzählte sie von den Models, den Shows in Mailand oder Paris und den Designern,
die alle, leider, schwul seien. Beide lachten.
    Esther sah
die prächtigen Kleider und die aufwendige Schminke der Frauen und ließ sich
hineinfallen in das Plappern der Verkäuferin. Bei manchen Kleidern diskutierten
sie, ob sie das Blau einer Burka hätten oder nicht. «Haben denn alle Burkas
dasselbe Blau?», fragte die Verkäuferin.
    «Nicht
alle», sagte Esther, «aber es gibt so ein leuchtendes Blau, zwischen hell und
dunkel, das meine ich.»
    Einmal war
es fast das richtige Blau, aber das war nicht bei einem Kleid, sondern einem
Hut, der sich wie eine zweite Haut um den Kopf einer Frau schmiegte. Eine rote
Feder steckte an der Seite. Die Verkäuferin überlegte, und dann sagte sie,
Joop arbeite mit diesem Blau. Er habe seinen eigenen Laden am Gendarmenmarkt.
Sie erzählte noch vom Verkäuferinnenleben und fragte Esther, was sie arbeite.
    «Ich bin
Soldatin», sagte Esther.
    Die
Verkäuferin klappte die «Vogue» zu. Sie sah Esther an, und da war ein Anflug
von Ärger in ihrem Blick. Sie hatte sich viel Mühe gegeben und am Ende sogar
den Laden der Konkurrenz empfohlen, da wollte sie nicht auf den Arm genommen
werden.
    «Es
stimmt», sagte Esther.
    «Waren Sie
schon in Afghanistan?», fragte die Verkäuferin.

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