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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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Afghanistan. Es war im Prinzip die gleiche Version wie am Abend zuvor, außer
dass Mehsud vorkam, allerdings nicht in seiner eigentlichen Rolle. Gegen Mittag
brachte Thilo sie zum Bahnhof. Sie nahm den Zug über Greifswald zum ersten Mal
seit der Trennung von Jasper.
    Auf dem
Bahnhof hielt sie Ausschau nach ihm, sah ihn aber nicht. Jasper, der Sohn des
Veterinärs, der Erste, den sie geküsst, der Erste, mit dem sie geschlafen
hatte. Und dann war sie einfach bei ihm geblieben, sieben Jahre lang, hatte
sein Leben gelebt, als wäre es ihres. Studium der Informatik, eine kleine
Wohnung in Greifswald, zusammen kochen, Trivial-Pursuit-Abende mit Freunden,
Urlaub auf Formentera, die Hoffnung auf einen Job bei Siemens oder SAP, das
Naheliegende tun. So war Jasper. Und um seinetwillen war sie auch so, weil ihr
nichts anderes einfiel. Eine kleine Affäre mit einem Professor, unentdeckt, ansonsten
Anpassung. Ihre Schreibtische standen nebeneinander im Wohnzimmer, dort
berechneten sie Algorithmen, lasen, schrieben immer zusammen, bis sich bei ihr
ein Widerwille gegen seine Präsenz entwickelte, ohne besonderen Grund, sie
hielt es einfach nicht mehr aus, dass er da war. Sie wusste nicht, wie sie ihm
das sagen sollte, sie fand keine Worte, die ihn nicht verletzt hätten, und
deshalb ging sie fast wortlos. Sie packte hastig ihre Tasche, als er einmal für
eine Stunde nicht da war, und dann saß sie am Küchentisch vor seinem Handy, er
hatte es nicht mitgenommen. Sie wählte seine Nummer und sagte der Mobilbox, sie
müsse gehen, und vielleicht könne er ihr eines Tages verzeihen. Sie verließ die
Wohnung ohne Schlüssel und fuhr nach Berlin.
    Sie wollte
ihn nicht treffen, aber sie musste ihm auch nicht mehr ausweichen. Er würde
eine andere Frau gefunden und in sein Leben eingepasst haben. Wenn sie sich
jetzt träfen, würden sie sich ihre Leben erzählen, und wahrscheinlich würde
jeder für sich darüber nachdenken, ob es für Esther besser gewesen wäre zu
bleiben. Wie würde da Afghanistan einfließen, wie das Gefecht, wie die tote
Frau, die toten Kinder? Es würde um das Gelungene gehen, und was sollte sie da
sagen? Der Zug fuhr an, sie vertrieb den Gedanken und freute sich auf ihre Eltern.
    Sie waren
nicht da, als Esther in Bergen ausstieg. Sie stand alleine auf dem Bahnsteig,
ihr Militärsack lag neben ihr. Sie wartete fünf Minuten, dann ging sie zur
Treppe. Als sie oben war, stürmten ihre Eltern heran. Sie fielen einander in
die Arme und weinten alle drei. Das Auto sei nicht angesprungen, japste ihre
Mutter, ausgerechnet heute. Als sie sich lösten, wollte ihr Vater den
Militärsack nehmen, aber sie ließ es nicht zu, was sie schnell bereute. Ihr
Vater verstand das so, wie sie es gemeint hatte: Sie war die Stärkere, ihr
würde es leichter fallen, den Sack zu schleppen. Aber sie hatte es nett gemeint,
er nahm es als Erniedrigung, wie sie an seinem Gesicht sah. Der erste Fehler
nach einer Minute, dachte sie.
    Der alte
Golf ihrer Mutter musste ein paarmal Luft holen, bevor er ansprang, dann
fuhren sie die Allee entlang. Sie passierten ein Kreuz, das sie schon kannte,
danach zwei Kreuze, die neu waren. Frische Blumen, zwei Fotos. «Besoffen»»,
sagte ihr Vater.
    «Ich habe
ja gesagt, hier ist es gefährlicher als in Afghanistan», sagte Esther.
    Der zweite
Fehler. Mit diesem Satz, der ihr gedankenlos rausgerutscht war, wurden alle
Diskussionen lebendig, die sie vor ihrer Abreise hatten, der Streit, die Tränen,
die Wutausbrüche, der Satz des Vaters: Ich verbiete es dir. Ihr schreckliches
Lachen danach. Sie legte eine Hand auf seine Schulter, im Rückspiegel sah sie,
dass er nicht lächelte, nicht ihren Blick suchte. Sie zog die Hand zurück. Alle
Katen waren belegt, Autos aus Essen, Berlin, Hamburg. «Was ist DU?», fragte
sie.
    «Duisburg»,
sagte ihr Vater.
    Tee im
Garten. Am Ende des Feldes, wo der Wald begann, rumorte ein Trecker. Ihre
Mutter sagte, dass sie ein Ozeaneum für das Meeresmuseum planten. Sie hatte
sich eine seltsame Art angewöhnt, von den Dingen zu reden, die schön für sie
waren. Sie konnte ihre Worte dabei so betonen, als würde es schlechter und
nicht besser, als sei sie genervt von den ständigen Verbesserungen und
Erweiterungen. Esther nahm an, dass sie das tat, um ihren Mann zu schonen. Die
Mutter redete, bis der Trecker nach einer halben Stunde bei ihnen angekommen
war und sie wegen des Lärms und des Staubs ins Haus gingen. Als sie am
Wohnzimmertisch saßen und ihre Mutter weiter von den

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