Kurbjuweit, Dirk
genussvoll, mit den Gedanken bei Mehsud. Sie löffelte eine
Mousse au Chocolat mit Himbeeren, als sie ein seltsames Rauschen hörte. Sie
blickte zum Fenster hinaus und sah einen Schatten in der Dunkelheit
vorüberhuschen. Er war zu schnell gewesen für einen Fußgänger, und er hatte
sich auf der Mitte der Straße bewegt, war aber kein Radfahrer. Wieder dieses
Rauschen, wieder ein Schatten, dann viele. Sie musste lächeln, als ihr einfiel,
dass es Inlineskater gab. In einem endlosen Strom fuhren sie die
Reinhardtstraße hinunter, Hunderte, vereint in einem stillen, ernsten Gleiten.
Ihr Handy
klingelte. Es war Tauber. «Es geht nicht», sagte er.
«Ich kann
nicht kommen?»
«Nein.
Rebecca sagt, es sei schlecht gerade.»
«Warum ist
es schlecht?»
Ein paar
Sekunden lang hörte sie nichts. «Sie denkt, dass ich mich in dich verlieben
könnte.»
«Warum?»
«Weil du
mir das Leben gerettet hast.»
«Das ist
Unsinn.»
«Sie sagt,
dass dieses Gefecht uns für immer verbinden werde, und sie will nicht, dass
daraus Liebe wird.»
«Was
denkst du?»
«Danke,
dass du nichts gesagt hast.»
«Was habe
ich nicht gesagt?»
«Dass eine
Frau und zwei Kinder in dem Gehöft gelebt haben.»
Sie
schwieg.
«Wenn du
es gesagt hättest, hätte die Pilotin im Apache nicht geschossen, und wir wären
verreckt.»
«Ich weiß
nicht.»
«Du hast
mir das Leben gerettet. Danke, Esther, danke.»
«Ich würde
dich gerne besuchen.»
«Es geht
wirklich nicht.»
«Schade.»
«Später
vielleicht. Hast du einen Namen gefunden?»
«Nein.»
«Marietta
finde ich schön.»
«Ja.»
«Und
Theo.»
«Was macht
der Wintergarten?»
«Ich kann
ihn nicht bauen.»
«Warum
nicht?»
«Ich
brauche das Geld für die Fenster.»
«Neue
Fenster?»
«Schusssichere
Fenster.»
«Du lässt
dir schusssichere Fenster einbauen?»
«Wir
müssen aufpassen, Esther.»
«Wir
müssen aufpassen?»
«Ja.»
«Warum?»
Sie wusste die Antwort und hoffte doch, dass sie nicht kommen würde. «Sie
werden sich rächen.»
«Sie
wissen nichts von uns.»
«Sie sind
schon da.»
«Bei dir
auf dem Dorf?»
«In der
Stadt. Als ich beim Arzt war, habe ich einen gesehen.»
«Einen
Taliban?»
«Sie
ziehen sich ganz normal an.»
«Hans, ich
möchte zu dir kommen.» Eine Weile hörte sie nichts. Sie hatte den Eindruck,
dass er seine Hand gegen den Hörer presste.
«Es geht
nicht, später geht es bestimmt.»
«Bau den
Wintergarten, bitte.»
«Erst die
Fenster. Du musst auch auf dich aufpassen, Esther.»
«Ich passe
auf mich auf.»
«Es war
schön, mit dir zu reden.»
«Es war
schön, mit dir zu reden.»
«Bis
dann.»
«Ja, bis
dann.»
Tauber
hatte aufgelegt. Esther steckte ihr Handy wieder in die Tasche, löffelte
lustlos in der Mousse und bestellte die Rechnung.
Sie winkte
ein Taxi heran und ließ sich nach Schöneberg fahren, zur Cincinnatus Bar. Es
war nicht voll, der Typ an der Bar war ein anderer als der, mit dem sie sich
abgewechselt hatte. Sie setzte sich auf einen Hocker, bestellte einen Gin
Tonic und ließ sich vom Barmann in ein Gespräch verwickeln. Bald fand sie einen
Punkt, von dem sie nach Afghanistan springen konnte und erzählte ihm die ganze
Geschichte, ohne die Frau und die beiden Kinder und ohne Mehsud. Er sagte
wenig dazu, aber er staunte so, wie es gerade wünschenswert war für sie. Am
Ende, morgens um drei, wollte er das alles ficken. Er wollte unbedingt eine
Frau ficken, in deren Gemüt es einen Raketenangriff gab, ein Gefecht, einen
Krieg. Das wollte er unter sich haben und beherrschen. Sehr charmant war er
jetzt. Sie ließ sich den Charme eine Weile gefallen, er war ein hübscher Kerl,
etwas jünger als sie, guter Körper, im Fitnessstudio geformt, als müsse er sich
für einen Krieg wappnen.
«Wenn du
lächelst, hast du nur ein Grübchen», sagte er.
«Habe ich?»
«Links.»
«Hm.»
«Dort.»
Sein Zeigefinger strich sanft über ihre linke Wange. «Süß», sagte er.
Seit dem
Amerikaner hatte sie keinen Mann mehr gehabt, das war jetzt mehr als drei
Monate her. Mehsud konnte man nicht mitzählen. Esther zahlte die zwei Gin Tonic,
die sie bestellt hatte. Der Wodka Cranberry ging auf seine Rechnung. Sie sah
Enttäuschung und ein bisschen Wut in seinem Blick, als sie die Bar verließ.
Eine solche Chance würde er so bald nicht wieder haben, das war ihm klar. Eine
laue Nacht, Stille in der Straße, sie lief fünf Minuten, dann stieg sie in ein
Taxi.
Beim
Frühstück am nächsten Morgen saßen sie am See, und Esther erzählte
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