Kurbjuweit, Dirk
Schar der Frauen,
die Thilo schon gehabt hatte und noch haben würde, falls es nicht hielt mit
ihnen beiden. Damals, mit vierundzwanzig, hatte sie schon das Gefühl gehabt,
sich selbst die Möglichkeit genommen zu haben, etwas Einzigartiges zu erleben;
dass sie schon alles gesagt und gemacht hatte, was in der Liebe möglich war.
Ihr Leben würde in dieser Hinsicht aus Wiederholungen bestehen, und es war
nur die Frage, wie gut sie darin war, sich einzureden, dass die eine oder
andere Facette einen echten Unterschied machte. Mit Mehsud war es anders, auf
jeden Fall. Eva trifft Adam. So empfand sie das. Und Eva hat das Glück, dass
Adam ein wunderbarer Mensch ist, den sie nicht liebt, weil er der Einzige ist,
sondern für seine Weisheit, seine Tiefgründigkeit, seine Schönheit. Ein idealer
Fall. Und er? Suchte er nur den Westen in ihr? Das Moderne? Nein. Am Ende war
eine Frau eine Frau.
Sie sprach
beim Kommandeur vor. Sie wartete draußen und meinte nach einer Weile, das Meer
zu hören, die Ostsee. Sie sah sich um, nur Gebäude, der Himmel. Eine
Schildkröte schlich durch ein Rosenbeet, jemand hatte ihr «Leo II» auf den
Panzer geschrieben. Du spinnst, dachte sie und hatte plötzlich Angst um sich.
Wieso hörte sie jetzt ein Geräusch aus ihrer Kindheit? Dann wurde ihr klar,
dass es der Wind war, der durch das Dach aus getrockneten Blättern strich,
unter dem sie stand. Sie lächelte, war aber nicht erleichtert.
Sie finde,
sagte sie zum Kommandeur, es sei genug Zeit vergangen, eine Woche, und sie
wolle darum bitten, eine Fahrt zur Schule machen zu dürfen. Der Kommandeur sah
sie lange an, er saß, sie stand. Das sei zu früh, sagte er, man könne noch
nicht einschätzen, wie die Lage dort sei. Es könne ja ein größerer Konvoi sein,
sagte Esther, keine Wölfe, nur Dingos, reichlich Infanteristen. Er lehnte sich
in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf,
Schweißflecken in seinen Armbeugen. Ein Ventilator lief. «Es ist zu
gefährlich», sagte er. «Ich kann nicht noch mehr Leute verlieren.»
«Aber es
geht doch auch um die Schule», sagte sie vorsichtig. «Die Taliban werden die
Mädchen daran hindern, zur Schule zu gehen, wenn wir nicht regelmäßig vorbeischauen.»
«Ich bin
vor allem für meine Männer verantwortlich», sagte der Kommandeur und ergänzte
nach einer kurzen Pause: «Und für meine Frauen natürlich, für die Frauen hier
im Lager.» Er wurde rot.
«Wir sind
doch hier, damit die Mädchen zur Schule gehen können, wir sind doch nicht
hier, um nur auf unsere Sicherheit zu achten, das könnten wir in unseren Kasernen
ja viel besser.» Sie hatte schnell und heftig gesprochen. Jetzt schaute sie
den Kommandeur bange an.
Er setzte
sich gerade hin, legte seine Arme auf den Tisch. «Sie haben recht. Wir wollen
dafür sorgen, dass dieses Land eine gute und gerechte Ordnung bekommt, aber
nicht um jeden Preis.»
So ging
das Gespräch dahin. Sie gab nicht nach, und er duldete das, sie hatte jedoch
bald den Eindruck, dass sie Teil eines Spiels geworden war, bei dem es ihm
darum ging, ein bisschen Gutmütigkeit an den Tag zu legen, eine scheinbare
Liberalität. Aber am Ende würde er nicht nachgeben. Der Kommandeur kannte das
Resultat des Gesprächs von Anfang an, sie nicht. Das heißt, bald kannte sie es
auch, machte allerdings weiter, weil sie sich das schuldig war, während er,
glaubte sie, es angenehm fand, sich mit ihr die Zeit zu vertreiben. Sie wurde
auf die nächste Woche vertröstet.
In ihrer
Stube war es still, Maxi saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, sah zum Fenster
hinaus, auf den Hindukusch, und schwieg. Ina erzählte, dass Robert mit Mario
in der Musikschule gewesen war, um ein Instrument auszusuchen; am besten habe
Mario die Geige gefallen, ausgerechnet, wo es doch so schwierig sei, Geige zu
lernen, und sie wisse nicht, ob ihr Kind die Geduld habe, das durchzuhalten,
vielleicht sei Gitarre besser. Sie hielt bald inne, und Esther wusste genau
warum. In dieser Luft konnte man nichts erzählen, die Worte wurden nicht gehalten,
nicht getragen, und das lag an Maxis stummer Düsternis. Noch am selben Abend
wurde Esther mitgeteilt, dass sie Urlaub zu nehmen habe, zwei Wochen lang, in
drei Tagen sei Abreise. Sie wehrte sich, ohne Chance.
Am Abend
darauf gab es eine Party. Einer der Kampfmittelbeseitiger hatte Geburtstag,
Ingo, ein kleiner, nervöser Mann. Die Party machte er auf seiner Stube, rund
dreißig Leute kamen, einige saßen und lagen auf den drei
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