Kurbjuweit, Dirk
Betten, der Rest
stand, ein paar versuchten dabei zu tanzen, scheppernde Musik aus einem
Laptop, dessen Lautsprecher überfordert war. Esther hockte auf einem Bett, ein
Glas Wodka in der Hand, den Joint reichte sie weiter, ohne daran gezogen zu
haben. Die beiden neben ihr knutschten, sie wusste nicht, ob es ein Mann und
eine Frau waren oder eine Frau und eine Frau. Beide hatten kurze Haare und
waren so ineinander verklammert, dass Esther von ihren Gesichtern und Körpern
kaum etwas erkennen konnte. Es hätten auch zwei Männer sein können, aber die
würden hier nicht offen knutschen. Sie redete mit einem Leutnant, der
Soziologie studiert hatte. Sie verstand nicht, was er sagte, es war zu laut,
aber sie nickte und lächelte. Ina tanzte, Maxi saß auf einem der anderen
Betten. Um neun spielten sie «Plastic Stress», alle sangen mit. Sie spielten es
dreimal, dann kam etwas anderes, trotz der Proteste. Maxi schob sich zu Esther
durch und sagte, sie sei müde und müsse ins Bett. Große Umarmung.
Wieder
lief «Plastic Stress», und Esther sang die Zeile «Love in the middle of the
fire fight» mit, fast vergnügt seit langem mal wieder, als draußen rotes Licht
aufflackerte. Sie wussten alle, dass es die Patronen waren, mit denen man
Landeplätze für Hubschrauber markiert; eine nette Geburtstagsüberraschung. Alle
rannten hinaus, auch Esther, und dann blieben sie plötzlich stehen, hielten
inne, weil zwischen den beiden roten Rauchschwaden eine seltsame Gestalt
erkennbar wurde, eine Frau in einer Burka, aber nicht in einer normalen Burka,
diese hier war aufwendig bestickt.
«Fatima!»,
rief Ina, die als eine der Ersten rausgekommen war. Esther drängte sich nach
vorne. Die Partygäste waren verwundert, aber auch amüsiert. Ob die echt sei,
fragte jemand. «Nee, das ist eine Puppe», sagte Ina leise. So standen sie eine
Weile vor der Gestalt, die sich nicht regte. Die Nacht war sternenklar.
Leuchtraketen stiegen neben der Gestalt in der Burka auf, ein kleines, schönes
Feuerwerk. Feldjäger liefen herbei. Die Gestalt, die so reglos gewesen war,
machte plötzlich eine Bewegung mit dem rechten Arm. In ihrer Hand hatte sie
eine Pistole. Esther stürzte vor, konnte aber nicht verhindern, dass sich Maxi
eine Kugel in den Kopf schoss.
BERLIN, SOMMER 2006
Lichter in
der Nacht, bunt, grell, ein Stau auf dem Kurfürstendamm, dreiundzwanzig Uhr,
Geschäfte, Kleider, Fußgänger, Lachen, eine Hupe. Sie sagte nichts, schaute aus
dem Fenster, das offen war, seltsame Luft, präsenter, stofflicher als die, die
sie gewohnt war. Musik aus einem Cabrio, Ampeln, rot, grün, ein Taxi, zwei,
drei. Menschen in Straßencafes, Cocktails, ein turmhoher Eisbecher. Thilo,
der am Lenkrad saß, sah sie an. «Alles gut?» Sie nickte.
Greta
wartete vor der Tür, sie umarmten sich. Esther ging ins Bett, ohne etwas
erzählt zu haben, müde, durcheinander. Sie schlief nicht ein, sondern wurde
vom Schlaf blitzartig überfallen und in traumlose Tiefen verschleppt. Sie
wachte früh auf, horchte; das Fenster stand weit offen, von draußen kam ein
Klimpern, die stählernen Taue schlugen gegen die Masten der sanft schaukelnden
Segelboote. Es war das Geräusch, das sie am liebsten hatte an diesem Ort. Der
Rest war ihr immer unheimlich gewesen, ein Knarren, Ächzen und Knarzen, als
stemme sich das Haus mit letzter Kraft gegen seinen Einsturz. Aber das war es
nicht, was sie geweckt hatte. Da war ein neues Geräusch, wie von einer
Maschine, ein dumpfes Rollen, als würden große Räder aneinanderreihen, in einem
schleppenden, nicht gleichmäßigen Rhythmus. Die Maschine musste direkt über ihr
stehen, auf dem Dachboden. Sie fragte sich, was sie hier jetzt taten, zu
welcher Fabrikation sie der ewige Geldmangel getrieben hatte. Sie war
beunruhigt. Das Geräusch mischte sich in ihrem Kopf mit dem Rattern eines
Gewehres, und sie fragte sich, ob sie Fieber hatte. Das Rattern konnte sie
verdrängen, das Maschinengeräusch blieb.
Sie
schlief wieder ein, erwachte, als Henriette und Paulus kamen und mit ihr
schwimmen gehen wollten. «Das ist eine gute Idee», sagte Esther. Greta lieh ihr
einen Bikini, der leidlich passte, und dann tobte sie mit den Kindern im
Wasser. Ob sie jemanden erschossen habe, fragte Paulus irgendwann. «Nein»,
sagte Esther. Als sie sich zu Greta und Thilo in den Garten setzte, weil die
Kinder blaue Lippen hatten, wollte sie wissen, was das für eine Maschine sei,
die unter dem Dach arbeite. Die beiden sahen sich an,
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