Kurier
Gefühl mit sich
herumtrug.
»Einsteigen, und ab geht’s nach Berlin!«, verkündete Geronimo.
»Auf euch wartet noch jede Menge Knutscherei.«
»Meine Frau ist mir lieber«, sagte Milan einfach. Dann richtete
er sich bequem auf der Rückbank ein und schloss die Augen.
»Er ist ein Krieger, er nutzt die Gefechtspausen«,
erklärte Grau. »Wie geht es Sundern?«
»Der wartet auf Davidoff und Gretzki«, sagte Geronimo.
»Kann er mit denen verhandeln?«
Geronimo grinste. »Natürlich werden sie sich treffen. Sie
werden mit Sundern sprechen, sehr höflich, dann werden sie sich umsehen, ob
nicht die Möglichkeit besteht, Sundern ein bisschen unter Druck zu setzen. Ihr
Blick wird …«
»… auf Meike fallen«, vollendete Grau. »Das meinst du
doch. Das hatten wir schon. Ich sollte mich von Sundern anstellen lassen. Bis
zur Rente Frauen aus der Scheiße holen. Wenn Sundern sagt, er hat weder den
Stoff noch die Moneten, dann müssten sie ihm das doch glauben.«
»Das werden sie nicht, solange das Gerücht umgeht, Sundern
hätte das ganze Zeug. Also müssen wir es suchen.«
»Und wenn wir es haben?«
»Ich weiß es nicht.« Geronimo grinste wieder. »Vielleicht
versteigern?« Er lachte schallend und schlug sich klatschend auf sein Knie.
Dann schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, was das alles soll, ich kann
Drogen nicht leiden.«
»Wie bitte?« Grau war erheitert. »Dein Verein hat doch
damit zu tun.«
Geronimo war augenblicklich ernst, fast verbissen. »Haben
wir nicht, Grau, haben wir nicht. Mehmet macht ein Restaurant, Mehmet macht
Stände auf Märkten. Mehmet macht mit vielen Lastern Logistik, überall in
Europa. Aber keine Drogen, verdammt noch mal! Und ich bin sein Angestellter.
Ordentlich mit Sozialabgaben.
Ich habe fünf Kinder, Grau, und ich liebe sie. Wenn sie
Haschisch rauchen, bin ich sehr betrübt. Sundern? Hat auch nichts damit zu
tun.« Er war so erregt, dass er den Wagen mit über zweihundert Stundenkilometern
vorwärtstrieb.
»Ich möchte gerne weiterleben«, sagte Grau mit trockenem
Hals. »Ich werde Sundern fragen.«
»Das musst du auch, das musst du wirklich. Weißt du, ich
glaube, Sundern hat als Einziger begriffen, was hier läuft. Mehmet auch, aber
Mehmet hat Angst, es zu sagen. Du musst dich ausruhen, du musst zu Meike gehen
und Liebe machen und ein bisschen vergessen.«
»So ein Scheiß!«, fluchte Grau. »Ich werde gewalttätig
für einen Haufen Leute, die ich nicht kenne und die mir dauernd sagen, sie
seien Ehrenmänner. Ehrenmänner, die von Bullen gejagt werden und mit anderen
Ehrenmännern Krieg führen.«
»Dann musst du nach Hause gehen«, sagte Geronimo. Er
lächelte. »Aber das geht auch nicht, nicht wahr?«
»Woher kommst du eigentlich? Was bist du denn für ein
Landsmann?«
»Ich bin der ganze Balkan«, sagte Geronimo weich und mit
sehr viel Liebe in der Stimme. »Der ganze Balkan und der ganze Nahe Osten. Ich
habe in Istanbul gelebt, in Tel Aviv, und jetzt in Berlin.«
Grau nickte erst vor Göttingen ein. Er schlief unruhig,
und einmal trat er heftig gegen Geronimos Knie. Er träumte, er wäre auf der
Suche nach Eichhörnchen. Er bewegte sich in einem Haus, das nach oben hin
grenzenlos in milchig-aggressivem Nebel versank. Er ging in laut hallenden Räumen
enge Gänge entlang, die links und rechts mit dreckigen, stinkenden grauen
Decken behängt waren.
Er kämpfte sich durch Wolken von Spinnweben, und zuweilen
blendete ihn in der Ferne ein blaues blitzendes Licht. Es sah so aus, als trüge
jemand eine Laterne. Er ging barfuß, bekleidet mit Hosen, deren Beine dicht
unterhalb der Knie in Fetzen endeten. Er zog eine Spur durch Schlamm, aus dem
blaue Dämpfe aufstiegen und in dem irgendwelche Tiere quiekten. Ratten, dachte
er. Er entdeckte auch sehr große weiße Würmer, so lang wie seine Füße.
Er begriff, dass hinter den dreckigen Decken links und rechts
Kojen waren, Kojen, eng übereinander, eng nebeneinander. In jeder Koje lag ein
Mensch. Als er begriff, dass jeder dieser Menschen Eichhörnchen war, wollte er
mit Gewalt wach werden, weg aus diesem entsetzlichen Gemäuer.
»Du hast geschrien«, erzählte Milan ihm. »Warst du wieder
in Bogotá?«
»Nein«, sagte Grau verbissen. Er stopfte sich eine Pfeife
und forderte dann unvermittelt: »Halt bitte mal an, Geronimo. Ich brauche
Zigaretten.«
»Das ist nicht gut«, sagte Milan.
»Fahr weiter, Geronimo. Er hat recht. Nein, verdammt noch
mal, halt an.«
Geronimo hielt an der
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