Kurier
mit seiner Unterschrift versehen.
Aufgescheucht von der Fernsehsendung in Berlin, deren
Autorin Helga Friese war, riefen vier Rundfunkstationen, sechs Tageszeitungen,
vier Magazine und drei Fernsehsender im Auswärtigen Amt an. Ihnen allen
versicherte man: »Ulrich Steeben? Ist uns unbekannt!«
Auf ihren heftigen Protest, man besitze immerhin Fotos
und Porträts der Leiche, antwortete das Auswärtige Amt: »Das mag durchaus sein,
aber da wir unter den Betriebsangehörigen keinen Mitarbeiter namens Ulrich
Steeben haben, sind Ihre Fotos gegenstandslos.«
Inzwischen hatte ein findiger junger Reporter mithilfe
des Bonner Telefonbuchs Steebens Adresse ausfindig gemacht, bei Nachbarn
geklingelt und sich nach dem jungen Mann erkundigt.
Die Nachbarn entpuppten sich als freundliche, aufgeschlossene
Leute, die sofort bestätigten, Ulrich Steeben sei ein junger, aufstrebender,
gut aussehender Diplomat, »so was Nettes von einem jungen Mann. Und sehen Sie
mal, hier auf dem Foto hat er meine kleine Tochter auf dem Schoß. Das war auf
einer Grillparty bei uns im Garten.«
Ein älteres Redaktionsmitglied eines politischen Magazins
entsann sich einer lauen Sommernacht in den Rheinauen vor etwa sechs Jahren.
Dort war es gelungen, eine höchst schmutzige Affäre um einen deutschen
Botschafter im Nahen Osten aufzudecken. Dabei geholfen hatte eine Sekretärin
des Auswärtigen Amtes, die, noch atemlos von der soeben genossenen Liebe, die
unglaublichen Machenschaften des Herrn Botschafters zu Protokoll gegeben hatte.
Wie sich herausstellte, war sie auch jetzt wieder durchaus
zu einem Treffen bereit und nannte das Ganze ungeniert »einen kleinen hübschen
Ausbruch aus meinem Gefängnis«. Sie sagte, einige Referatsleiter liefen mit
graugrünem Gesicht über die Gänge, denn der Steeben, natürlich ein Kurier, sei
tatsächlich seit einigen Tagen verschwunden. Es sei durchaus möglich, dass er irgendetwas
mit schmutzigen Dollars und Kokain am Hut hätte.
Eine junge Reporterin aus Berlin faxte das Foto des toten
Steeben nach Rio, mit der Bitte, es der Crew der Maschine vorzulegen, mit der Steeben
von Rio nach Amsterdam geflogen war. Zwei Stewardessen und ein Steward waren
sofort bereit zu schwören, dass dieser Mensch in der Maschine gesessen hatte.
Die hartnäckige junge Dame konnte also getrost formulieren:
»Was wissen wir denn nun? Wir wissen, dass der Kurier des Auswärtigen Amtes in
Bonn, Dr. Ulrich Steeben, von der ihm vorgeschriebenen Route abgewichen und von
Amsterdam nach Berlin geflogen ist. Wir wissen weiter, dass er ins Hilton einzog und praktisch im gleichen
Augenblick verschwunden ist. Wir wissen außerdem, dass er mit insgesamt sechs
großen Diplomatenkoffern im Hilton ankam. Vier dieser Koffer enthielten Post aus den deutschen Vertretungen der
beiden amerikanischen Kontinente.
Und was war in den anderen beiden Koffern? Steeben kam,
das konnten wir nachweisen, aus Rio de Janeiro. Also kann das Gerede, die
Koffer hätten Kokain enthalten, durchaus stimmen. Es gibt auch Gerüchte, die
besagen, außer dem Kokain hätte der junge Mann, dessen Leiche erst viele Tage
später entdeckt wurde, eine unglaubliche Menge an Dollarnoten mitgebracht. Man
spricht von zehn Millionen. Da wird man wohl fragen dürfen, was für merkwürdige
Leute das Auswärtige Amt eigentlich beschäftigt …«
Nach den ersten zwanzig Anfragen in Sachen Ulrich Steeben
hätte man sich durchaus auf eine annehmbare Lesart festlegen können. Das aber
geschah gerade nicht, weil zwei Referatsleiter, die sich ohnehin nicht leiden
konnten, der Auffassung waren, der Fall Ulrich Steeben gehöre in ihren
jeweiligen Zuständigkeitsbereich.
Der eine gab die Anweisung, die Person Steeben schlichtweg
bis zum bitteren Ende zu leugnen. Der zweite hatte die Idee, Steeben
kurzfristig wieder aufleben zu lassen, um ihn dann zur Leiche mit allen
bürgerlichen Ehrenrechten zu erklären.
Immer mehr Journalisten fanden unwiderlegbare Beweise
dafür, dass es tatsächlich einen jungen Diplomaten namens Ulrich Steeben in
Diensten des Auswärtigen Amtes gegeben hatte. Sie fragten denn auch nicht mehr,
ob es Steeben wirklich gab, sondern wie das Auswärtige Amt es zu erklären gedenke,
dass augenscheinlich ein junger Diplomat mit einer geradezu wahnwitzig
anmutenden Menge an Geld und Drogen in Berlin angekommen war.
Mittlerweile kursierten private Fotos von Steeben. Die
meisten stammten von jungen Kollegen des Verblichenen, die, verlegen zwar, aber
ohne großen
Weitere Kostenlose Bücher