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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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ausdrücklich, dass er auch Grau bezahlt hat. Diese
Notizen heftete er in einem kleinen blauen Ordner ab, der ihn während der
ganzen Operation begleitete.

    Kennen Sie Silberhaar-Dickson? Dumme Frage, Sie können
ihn gar nicht kennen! Silberhaar ist einer jener sagenhaften Verwaltungsfüchse
in der amerikanischen Botschaft in Bad Godesberg, ohne die buchstäblich nichts
läuft, nicht einmal ein Strauß frischer Blumen auf den Schreibtisch des
Gesandten kommt. Silberhaar ist ein Unikum, ein witziger, feiner alter Herr,
der niemals zugeben würde, dass er so etwas Unappetitliches wie Macht besitzt.
Beispielsweise verlässt kein Hundertdollarschein die Botschaft, ohne von ihm
abgesegnet zu sein.

    Ich kenne Silberhaar seit etwa zwanzig Jahren. Als ich
sein Büro mit zwei Flaschen köstlichen Eisweins von der Ahr betrat, strahlte er
und stellte fest: »Da die Bestechungssumme hoch ist, kann ich wohl erwarten,
als Landesverräter in die Annalen einzugehen, wenn Sie hier wieder rausmarschieren.«

    »Eigentlich nicht«, erwiderte ich. »Ich will nur wissen,
ob zwei ganz bestimmte Leute sich an einem ganz bestimmten Tag getroffen haben.
Hier in Bonn.« Ich gab ihm die Namen, das Datum, den Wein und verschwand
wieder.

    Als ich ihn nach einigen Tagen erneut besuchte, ließ er
mich mit dem kleinen blauen Ordner allein, den White so eifrig gefüllt hatte.
Ich las in aller Ruhe, was ich wissen wollte, klappte den Ordner wieder zu und
ließ ihn liegen.

    Ich will auch gern zugeben, dass ich Silberhaar in dieser
Zeit häufig besuchte und dass dieser kleine blaue Ordner wie zufällig immer auf
seinem Tisch lag.

    Bis auf eine Schlussbemerkung muss ich Sie nun nicht länger
von Ihren Geschäften abhalten. Gehen wir also in den Endspurt, nähern wir uns
dem nächsten Toten. Leider bleibt uns dieser nicht erspart.

Im Auge des Taifuns

    »Und was machen wir jetzt?« Milan schlenderte neben Grau her,
sah sich ein paarmal um, als könnte er sich von der Hysterie wegen der Leiche
im Container nicht lösen.

    Grau grinste. »Wir haben jetzt Freistunde. Du kannst zu
Sigrid gehen, Liebe machen, was weiß ich. Wir können aber auch eine Frühkneipe
in Kreuzberg heimsuchen und frühstücken. Anschließend gehen wir für deine Frau
etwas kaufen. Wirst du Sigrid heiraten?«

    »Das weiß ich noch nicht. Heiraten wäre gut für Sigrid.
Sie hat dann Sicherheit. Alle Menschen brauchen etwas Sicherheit. Aber was ist,
wenn Sicherheit nicht funktioniert?«

    »Die Frage ist, ob du sie heiraten willst?«, sagte Grau lächelnd.
»Als Sicherheit bist du Sonderklasse.«

    »Dann werde ich es tun. Ich habe mit Geronimo gesprochen.
Sie könnten mir einen Kiosk verpachten. Schaschlik, Reibekuchen mit Apfelmus,
polnische Bratwürste und so. Grau, machst du den Trauzeugen?«

    »Na sicher. Aber du hast Angst, nicht wahr?«

    Milan nickte. »Ich hatte eine Frau, ich hatte Kinder. Sie
sind nicht mehr da. Ich weiß nicht, was noch passiert in dieser Welt. Krieg in
Deutschland?«

    »Wird es nicht geben«, sagte Grau schnell. Dann blieb er
stehen und fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Mund. »Ich weiß es nicht,
Kumpel, ich weiß es wirklich nicht. Dieser Scheißrechtsextremismus macht mir
Angst. Deutsche, die Angst haben, sind für alles gut. Hitler hatte panische
Angst. Erinnerst du dich, wie das alte Russland zusammenbrach? Idioten haben
behauptet: ›Ab sofort ist die Welt friedlicher.‹ Sie wurde stattdessen verrückter.
Du musst auch einfach daran glauben, dass du es schaffst.«

    »Schaffst du es denn?« Milan lächelte.

    »Ich hoffe«, sagte Grau leise. »Ich will es jedenfalls
versuchen. Komm, wir nehmen ein Taxi. Warum willst du eigentlich nicht zurück
nach Exjugoslawien, wenn Frieden ist?«

    »Geht nicht, Grau. Ich bin ein Mörder. Wenn ich vor
meinen Nachbarn stehe und Hallo sage, bin ich für die ein Mörder. Was, glaubst
du, wird dieser White tun, wenn er heute Abend seine Steeben-Leiche im
Fernsehen sieht?«

    »Er wird mich sein Leben lang hassen. Sie werden mich
schikanieren.«
    Grau winkte einem vorbeifahrenden Taxi.

    »Dann jagen dich Berliner Bullen, Bonner Bullen und der
amerikanische Geheimdienst. Aber was werden sie machen, wenn sie dich haben?«

    »Das ist das Raffinierte«, erklärte Grau grinsend und hockte
sich neben den Taxifahrer. »Sie werden nichts gegen mich unternehmen können,
denn ich habe nichts Ungesetzliches getan. Na gut, wir haben ihnen Angela
geklaut, aber das fällt unter Berufsrisiko … Sie werden mich also

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