Kurier
Sie
nicht danach gefragt, nicht wahr?«
»Also gut, Sie Pauker. Was wollen Sie loswerden?«
Der kleine Mann setzte sich sehr adrett hin und hielt mit
beiden Händen die Fliege fest, als würde sie sonst gleich davonfliegen.
»Sagen wir mal so: Ich bin für gewöhnlich der letzte Verbündete,
den unsere Leute sehen, bevor sie in irgendeinen Einsatz gehen. Ich bin, um
Gottes willen, kein Scharfmacher, ich rekapituliere nur das, was sie eigentlich
wissen sollten, aber zuweilen vergessen. In der Szene, in der Sie sich bewegen
werden, kommt es gelegentlich zu äußerst widerlichen Brutalitäten. Deshalb
müssen Sie vor allem die Beweggründe Ihrer Gegner kennen.«
»Aha. Und die wären?«
»Erstens Platzhirschgehabe, zweitens Hilflosigkeit. Diese
Gewalt ist sehr selten gezielt oder kalkuliert. Ich denke, das sollten Sie
wissen.«
»Das interessiert mich«, sagte Grau, »erzählen Sie mehr.«
»Nun«, sagte Hector, »man muss zunächst zwischen den
einzelnen Gruppen unterscheiden lernen. Da sind zum Beispiel die Wasserträger.
Egal, ob Frau oder Mann, sie sind abhängig. Meistens von irgendeinem Stoff. Und
weil sie den unbedingt haben wollen, sind sie jederzeit bereit, auf Befehl
Gewalt auszuüben. Aber sie haben ganz viel Schiss. Gewalt als gelegentlich
notwendige Attitüde. Klar?« Er sah Grau an wie ein freundlicher, neurotischer
Musiklehrer.
»Dann gibt es«, fuhr er fort, »die nächsthöhere Riege.
Das sind die, denen die Organisation eine gewisse Selbstständigkeit zubilligt.
Das sind Menschen, die unter großem Stress stehen. Sie müssen nämlich sich und
den anderen ständig beweisen, wie gut sie sind. Werden sie gekauft, können sie
schlimm sein, weil sie nämlich nicht fragen, weshalb sie Gewalt austeilen
sollen. Auch klar?«
»Auch klar.« Grau war ein gelehriger Schüler.
»Dann kommt die nicht zu unterschätzende Gruppe der
Schnorrer und Speichellecker, die sich einbilden, Karriere machen zu können.
Sie sind deshalb so unberechenbar, weil die Gewalt, die sie ausüben, oft gar
keinen Grund hat, jedenfalls keinen erkennbaren. Es kann sein, dass jemand aus
dieser Gruppe Sie ausschließlich deshalb verprügelt, weil er auf irgendeinen,
der tatsächlich Macht hat, einen guten Eindruck machen will. Dann die sehr
kleine und durchaus elitäre Gruppe der Menschen, die sich vorbehaltlos an jeden
verkaufen. Es sind Männer, die auf ein bloßes Augenzwinkern hin brutal und
meist sehr gekonnt zuschlagen. Sie sollten diese Schatten der wirklich Mächtigen
ernst nehmen. Die brauchen keinen Grund, die brauchen nur ein Augenzwinkern,
und es stört sie nicht, wenn ihr Opfer dabei aus Versehen stirbt.«
Grau wehrte ab: »Ich bezweifle, dass ich so tief in diese
Welt eintauchen muss. Ich suche nur einen Mann, sonst nichts.«
Hector nickte freundlich. »Sie untertreiben ein wenig,
mein Lieber. Der Mann besitzt fünfzig Pfund reines Kokain und zehn Millionen
US-Dollar. Das heißt, dieser junge Mann ist umgerechnet läppische fünfzig
Millionen Mark schwer und spaziert nun ganz unverfroren in Berlin umher. Was
glauben Sie, was so ein Vermögen an Gewaltpotenzialen freisetzen kann?«
Grau lächelte. »Sie sind ein erstaunlicher Typ.« Er war
doch ein bisschen beeindruckt.
Der kleine Mann kicherte geschmeichelt. »Tatsache ist, dass
all diejenigen hinter diesem Mann her sein werden, die vom Stoff und vom Geld
wissen. Kapiert, mein Lieber? Geld macht fast jeden geil. Sie werden also
gezwungen sein, auch auf Menschen zu achten, die in Ihren Augen auf den ersten
Blick gar nicht in Betracht kommen. Bedenken Sie, dass es kaum jemandem
gelingt, auch nur eine Million zusammenzubekommen – und hier liegen plötzlich
fünfzig Millionen gewissermaßen auf der Straße!«
Er räusperte sich und schlenderte zu dem kleinen Eisschrank
hinüber. »Auch ein Wasser?«
»Ja, bitte«, sagte Grau.
Hector kehrte zum Tisch zurück und goss Wasser in zwei
Gläser. »Was für Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem, was Sie bisher gehört
haben?«
»Nur die, dass ich wie bisher selbst entscheiden muss,
was ich tue.«
»Das könnte richtig sein.« Hector war ganz in Gedanken
versunken. »Können Sie mir jetzt mal sagen, auf welches menschliche Phänomen
Sie besonders achten müssen?«
Langsam hatte Grau genug. »Was soll das eigentlich? Spielen
wir hier Schule?«
»Ich bin ein Pauker«, erwiderte Hector beharrlich lächelnd.
»Das Phänomen, auf das Sie am meisten achten müssen, ist die Furcht, mein
Lieber. Wenn die
Weitere Kostenlose Bücher