Kurier
ohne sich umzuwenden.
»Wenn Sie hier sind, habe ich euch wenigstens unter Kontrolle. Milan schläft
noch.«
»Träumt er oft vom Krieg?«
Sie nickte. »Na sicher. Wie soll einer das verkraften,
ohne verrückt zu werden?« Dann ließ sie ihn stehen.
Nach einer Weile brachte sie ihm die Berliner Telefonbücher,
und er fand unter Sundern, Timo eine Nummer, die er sofort anrief.
Eine Frau sagte: »Ja, bitte?«
»Spreche ich mit Frau Sundern?«
»Exfrau, ja«, sagte sie.
»Ich möchte Ihren Exmann sprechen«, bat er. »Kann ich
einen Termin haben?«
»Das wird nicht so schnell möglich sein.« Sie war
sachlich. »Wir sind total überlastet.«
»Ich bin der, den Ihr Exmann heute Nacht verprügeln ließ.
Sie erinnern sich?«
»Davon weiß ich nichts.« Sie blieb weiter sachlich. »Ich
denke, er weiß von so etwas auch nichts. Es kann ja sein, dass die Angestellten
mal überreagieren, nicht?«
»Das kann sein«, bestätigte Grau. »Geht es dem Frettchen
besser? Mein Angestellter musste ihn etwas hart anfassen.«
Sie schwieg kurz. »Also, wann wollen Sie einen Termin?«
»Ich richte mich nach Ihnen.«
»Um was wird es gehen?«
»Um Berlin als neue Hauptstadt.«
»Herr Sundern ist kein Politiker«, sagte sie.
»Nein, aber angeblich bezahlt er ein paar von ihnen«,
sagte Grau. »Sagen wir morgen Mittag?«, schlug er vor.
»Also um zwölf. Und Ihr Name?«
»Grau.«
»Grau?« Sie lachte leise und legte auf.
Sigrid Polaschke klopfte, kam herein und stellte ihm ein
liebevoll angerichtetes Frühstück auf das Tischchen. »Es ist einfach so, dass ich
Milan liebe«, sagte sie fast tonlos.
»Ich verstehe das schon«, antwortete Grau. »Ich halte ihn
raus.«
»Das Einfachste ist, Sie beleidigen ihn«, sagte sie rasch
und sah ihn unsicher an. »Ehrlich, das wirkt am besten, das weiß ich.«
»Ist gut, ich werde es versuchen«, versicherte Grau.
»Wie … wie haben Sie denn vor Milan gelebt?«
»Eben so«, sagte sie. »Ich hatte nie viel Glück. Ach ja,
eine vom Bordstein war ich auch mal. Immer Kerle, und weil ich gutmütig bin,
habe ich sie alle ernährt, einen nach dem anderen. Milan ist anders.«
»Milan ist anders.« Grau nickte.
»Können wir uns vielleicht duzen? Ich meine, das ist einfacher.«
Sie war unsicher, sie hatte nichts, um sich daran festzuhalten.
»Na sicher«, sagte Grau. »Es ist mir eine Ehre. Ich heiße
Jobst.«
»Weiß ich doch längst«, polterte sie erleichtert. »Ich
bin die Sigrid. Also, ich spare auf Papiere für Milan. Er darf das aber nicht
wissen.«
»Was für Papiere?«
»Ich kenne da einen in Potsdam, der macht gute Papiere.
Ziemlich echt. Er nimmt sechshundert Mark für einen kompletten Satz mit
Pkw-Führerschein. Ich habe auch gehört, dass man polnische Papiere jederzeit
kaufen kann, Führerscheine zum Beispiel. Kosten angeblich nur ein Viertel. Aber
ich möchte was Solides.«
»Soll ich dir das Geld geben, äh vorstrecken?«
»Nein«, sagte sie scharf. »Ich will das richtig sparen,
das macht mehr Spaß.«
»Taugen die wirklich was?«
»Na ja, ich denke, das reicht mal für einen flüchtigen
Blick oder so. Milan ist aufgestanden, er wird gleich kommen.«
»Gut«, sagte Grau. »Ich werde ihm sagen, dass es nichts
mehr ist mit dem Schatten.«
»Ja, ja«, murmelte sie vage und verschwand.
Grau hatte keine Zigaretten mehr. Er zog sich an und ging
hinunter. Er suchte nach dem nächsten Kiosk und kaufte eine ganze Stange.
Wahrscheinlich würde er in nächster Zeit keine Muße mehr für seine Pfeife
haben. Als er zurückkam, saß Milan in einem der Sessel.
»Sigrid will, dass du aussteigst«, sagte Grau.
»Ich weiß. Willst du auch, dass ich aussteige?«
»Es ist zu riskant«, antwortete Grau entschieden. »Ist
dir noch etwas eingefallen?«
»Ja. Ich habe das hier in deinem Gepäck gefunden.« Er
legte den Colt auf den Tisch zwischen ihnen.
»Warum hast … wieso hast du das heimlich getan? Ich hätte
es dir doch gesagt. Hast du auch das Geld gefunden?«
»Klar«, gab Milan gelassen zu.
Eine Weile war es sehr still. In der Ferne zog ein Rettungswagen
vorbei und das Tatütata wirkte seltsam melodisch.
»Du hattest Angst?«, fragte Grau.
»Na sicher«, sagte Milan. »Ich habe gemerkt, dass deine
Geschichte von wegen Berlin-Recherche nicht stimmt. Dann hast du mir was
erzählt, und ich dachte: Was ist, wenn er jetzt wieder nicht die Wahrheit sagt?
Ihr habt in Deutschland einen Spruch, du weißt schon: ›Wer einmal
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