Kurier
tot ist, kann sein, dass er lebt. Egal. Es wird Gewalt
geben, weil jeder das Geld und den Stoff will. Sie wissen jetzt, dass du
eiskalt bist, weil du einen Schatten hast, der das erledigt. Okay, okay, ich
sorge nur dafür, dass sie dich fürchten werden.«
Er schloss die Augen, trotz seines dunklen Teints war er
bleich. »Du hast einen Punkt nicht verstanden, weil du … du lebst in einer
anderen Welt. Deine Welt ist höflich, meine nicht. Warum verstehst du nicht,
Grau, dass alle nur eins glauben: dass du den Stoff und das Geld genauso haben
willst wie alle anderen?
Journalist? Ach, scheiß drauf! Wenn ich dem Frettchen
Lokuspapier in den Mund stopfe, sagst du: Keine Gewalt! Was wäre, wenn ich es
nicht getan hätte, eh? Kein Gespräch mit Sundern.«
»Du glaubst, man wird mich töten, nicht wahr?«, fragte
Grau. Er fühlte sich schlecht und wie ausgehöhlt.
»Natürlich. Egal, was du weißt oder wie viel du weißt.
Wenn sie dich töten, ist einer weniger hinter dem Mann und seiner Ware her.
Warum verstehst du das nicht? Jetzt weiß jeder: Wenn Grau kommt, wird es ernst.
Wenn du nur höflich bist, werden sie lachen. Es ist eben wie Krieg, mein
Freund. Ein kleiner Krieg nach dem anderen.«
»Du hast gesagt, deine Familie wurde getötet, deine Kinder,
deine Frau, deine Eltern, alle. Was hast du gemacht mit den Mördern, ich meine,
was hast du …?«
»Ich habe sie gesucht, diese Nachbarn. Ich habe sie umgebracht.
Ich war ganz kalt, verstehst du! Ich habe mit ihnen Fußball gespielt, als wir
Kinder waren. Wir hatten keinen richtigen Fußball, wir waren viel zu arm. Weißt
du, mit was wir Fußball gespielt haben? Mit den Blasen geschlachteter Schweine.
Also sag’s schon, Grau. Ich bin auch nicht böse, wenn du mich nicht mehr
willst.«
»Warum sollten die mich töten?« Grau war verwirrt.
»Du bist naiv. Zehn Millionen Dollar und wahnsinnig viel
Kokain! Niemand wird dir glauben, dass du es nicht willst. Also was ist, Grau?«
»Dann gehen wir zu der verrückten Mama.«
Sie brauchten vier Minuten. Auf dem Namensschild stand: Else Krakowiak. »Alter Berliner Adel«,
murmelte Grau.
Die Frau, die ihnen öffnete, war klein und so ungeheuer
fett, dass ihre Rundungen wie Hügel aufragten. Sie trug einen pelzbesetzten
rosa Bademantel und in der linken Hand hielt sie eine brennende Zigarette in
einer Silberspitze, die sicherlich zwanzig Zentimeter lang war. Sie hatte ein
rundes, rotes Gesicht, das wie ein kleiner zufriedener Mond leuchtete, und war
sehr stark rosig geschminkt. Ihre Augen waren so dunkel umrandet, dass sie wie
mit Kohle nachgezeichnet wirkten.
»Guten Abend, Mama«, sagte Milan scheinbar entzückt. »Du
siehst fantastisch aus. Hast du ein Plätzchen für uns?«
»Und wo ist meine Tochter?«, krächzte sie.
»Die muss arbeiten, Mama. Dürfen wir rein? Kriegen wir
ein Bett?«
»Na ja, Betten hab ich genug. Und Sie, junger Mann, wer
sind Sie?«
»Grau heiße ich.«
»Sind die Bullen hinter Ihnen her oder was?«
»Nein«, sagte Grau. »Ich will nur meine Ruhe.«
»Das hier ist ein anständiges Haus. Mit Bullen haben wir
noch nie etwas zu tun gehabt. Ihr könnt Maxens altes Zimmer haben. Und das von
Adele. Jede Nacht kostet einen Blauen, damit das klar ist.«
»Natürlich, Mama«, sagte Milan brav.
»Und was ist mit Sigrid? Hat sie auch genügend Freier?
Ich habe ihr immer gesagt, dass sie für die Rente anständig anschaffen muss.
Keine Müdigkeit vorschützen. Wir Freiberufler kriegen nichts geschenkt. Also
rein mit euch, Jungs. Und mein Einstand?«
»Hole ich sofort«, versprach Milan. »Der Einstand ist
immer eine Flasche Wodka«, erklärte er.
»Um Gottes willen«, flüsterte Grau. »Das Unternehmen wird
zum Slapstick.«
»So ist das Leben.« Milan ging voraus, zeigte Grau ein
kleines, sehr dunkles Zimmer und sagte: »Ich hole den Wodka. Eher gibt sie
keine Ruhe.«
»Was sollte das mit den Freiern von Sigrid?«
»Na ja, sie ist eben verrückt. Sie denkt, Sigrid geht
immer noch anschaffen. Bis gleich.«
»Wir haben hier kein Telefon«, sagte Grau.
»Hier sucht uns auch kein Mensch«, erwiderte Milan.
»Das stimmt. Und es ist garantiert der erste Wodka ihres
Lebens, den ein amerikanischer Geheimdienst spendiert. Ist sie wenigstens
verschwiegen?«
»Wie ein Grab.« Dann war Milan verschwunden.
Es roch muffig. Grau nahm sein Eau de Toilette und
sprühte es durch den ganzen Raum. Die Lampe an der Decke war eine grauenhaft
gelbe Funzel, die Birne in der
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