Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
Vom Netzwerk:
friedlich miteinander umzugehen und die Absatzgebiete still und leise
unter sich aufzuteilen, um Geschäfte zu machen. Nein, die Szene wäre ruhig und
würde hervorragend leben, mit einem ständig leicht steigenden Absatz auf nahezu
allen Gebieten. Und: Potenzielle Kunden sind wir doch schließlich alle, oder?

    Wirten und Serviererinnen, Animiermädchen und Barkeepern
hielten sie zum Schluss die Fotos von White und Thelen hin und erklärten, das
wären alte Kumpel, seit Jahren verschwunden und angeblich in Berlin. Ob jemand
die schon einmal gesehen hätte. Alle schüttelten den Kopf und hielten Grau und
Milan für widerliche Bullen.

    Sie waren müde, sie standen irgendwo in Kreuzberg auf
einer Straße und gähnten. Der Tag brach an.

    »Hier ist ein Mann mit zehn Millionen Dollar und jeder
Menge Kokain angekommen. Das ist eine Woche her, und niemand weiß etwas,
niemand flüstert, keine Gerüchte, keine Unruhe.« Grau schüttelte verzweifelt
den Kopf.

    Milan sagte beruhigend: »Es ist wie im Krieg, lange Zeit
ist alles still. Und dann kracht es.«

    Sie einigten sich auf das Laternchen am Halleschen Tor als ihre letzte Station an diesem
Abend. Milan wusste, dass dort eine bunt gemischte Truppe verkehrte. Die
letzten Streuner der Nacht, Nutten, Zuhälter, aber auch mächtige Typen aus der
Szene, von denen kein Mensch wusste, wovon sie eigentlich lebten, die aber auch
niemand danach zu fragen wagte.

    »Hier findet das eigentliche Leben statt«, erklärte
Milan. »Hier gibt es Soleier und Klopse, Sekt und Kaviar.«

    »Na denn«, sagte Grau müde.

    Sie blieben in der Tür stehen, weil das Szenarium ungewöhnlich
war. Die Kneipe, mit niedriger Decke und ganz in mattgelbes Licht getaucht, war
bis auf den letzten Platz besetzt. Grau hatte Frühkneipen immer schon gemocht.
Er liebte ihren Lärm und ihre zerbrechliche Nachdenklichkeit, er liebte diesen
letzten Walzer des alten Tages. »Oh«, murmelte er betroffen.

    In dieser Kneipe war es ruhig, viel zu ruhig. Alle Gäste
starrten gespannt auf die Tür, als erwarteten sie ein Unglück.

    Milan begriff sofort, er wandte sich seitwärts an Grau
und sagte laut und ungeniert: »Weißt du, wir haben mit Mama wirklich viel am
Hals. Neulich hat sie vergessen, wo die Lichtschalter in der Wohnung sind. Da
hat sie jede Birne einzeln ausgeschraubt. Stell dir das mal vor.« Er redete ununterbrochen
weiter, steuerte zielstrebig die Theke an, grüßte freundlich mit »Guten
Morgen!« und verlangte zwei Bier. Erst jetzt drehten sich die Köpfe weg, erst
jetzt gab es Entwarnung.

    »Alte Leute allein zu Hause sind immer gefährdet«, sagte
Grau vage. Er sah den Wirt hinterm Tresen an. »Ich habe gehört, Sie haben
Kaviar?«

    »Haben wir.«

    »Dann zweimal. Mit Roggentoast und harten Eiern.«
    »Hier an der Theke?«

    »Warum nicht?«, fragte Grau freundlich. Der Wirt nickte.
»Läuft schon.«

    »Sigrid sagt auch, sie könnte es nicht verantworten, Mama
in ein Altenheim zu geben«, spann Milan weiter. »Und ich finde, sie hat recht.«

    »Wahrscheinlich stirbt sie ganz schnell, wenn sie in ein
Heim kommt«, steuerte Grau seinen Teil zu dieser traurigen Konversation bei.

    Der Wirt war etwa vierzig Jahre alt, eine sehr schlanke,
fast hagere Gestalt. Er war der Typus des harten Arbeiters und er wirkte
absolut nüchtern. Grau sah ihn an und fragte: »Hier tobt doch sonst das Leben.
Was ist denn heute los? Betriebstrauer?«

    Der Wirt kniff die Augen zusammen. »Haben Sie nichts
gehört? Machen Sie nicht einen Zug durch die Gemeinde?«

    »Was hätten wir denn hören sollen?«, fragte Grau.

    Der Wirt baute sich vor ihnen auf und beugte sich vor.
»Sind Sie fremd hier?«

    »So gut wie fremd«, sagte Milan schnell. »Und alle Leute
haben gesagt, wir müssen in Ihr Lokal, wenn wir Berlin kennenlernen wollen.«

    »Das ist auch so.« Der Mann nickte. »Es hat eine Entführung
gegeben.«

    »Eine Entführung?«, fragte Grau. »Wen hat’s denn erwischt?«

    »Wenn Sie fremd sind, sagt Ihnen das eh nix«, antwortete
der Wirt. »Wir haben hier so lokale Prominente. Eine Frau ist entführt worden,
die Frau, nein, die Exfrau von einem Juristen. Sundern heißt der. Die Frau
nennen wir hier nur die wilde Meike. Es heißt, es wären Ausländer gewesen. Aber
das weiß man nicht. Eigentlich weiß nie jemand was.«

    »Und die Bullen?«, fragte Grau schnell.

    Der Wirt zuckte die Achseln. »Die Bullen halten sich
raus. Die halten sich immer raus, wenn so etwas läuft.«

    »Was denn für

Weitere Kostenlose Bücher